Samstag, 18. Dezember 2010

Bienne: Trost am Bahnhof

In Biel war die Stimmung schon besser. Einerseits schwächte der 8:1-Triumph der Berner Hockeyaner über Biel den (trotzdem auf ewige Zeiten eingebrannten) 7:1-Sieg der Bieler gegen die gleichen Berner ein paar Wochen vorher ein bisschen ab. Andererseits wurde gerade bekannt, dass der SC Bern dem EHC Biel den hoffnungsvollen Jungnationalspieler Kevin Lötscher wegkauft.

Für den alten Bekannten, den ich im Bus traf, war dieser Transfer symbolisch, für so ziemlich alles. Siehst du, jammerte er, in Bern ist alles besser und schöner. In Bern ist das Geld und ist die Lebensqualität. In Bern sind die lukrativen Jobs, die gepflegten Wohnviertel. Und die erfolgreichen Hockeyspieler.

Als wir am Bahnhof Biel ausstiegen, kamen zwei sehr gut aussehende und sehr gut zurechtgemachte Frauen auf uns zu. Sie zogen Rollkoffer hinter sich her. Der alte Bekannte fragte sie, ob sie in die Ferien fahren oder gerade von den Ferien nach Hause kommen.

Wir kommen zum Arbeiten, sagte die eine Frau mit schön slawischem Akzent. Im Sexshop, ergänzte die andere.

Der Bekannte konnte wieder lachen. So cool drauf sind solche Mädchen in Bern bestimmt nicht, sagte er.

Fabian Sommer

Samstag, 11. Dezember 2010

Bern: Im Kintsch

Ich bin absolut pro Hochdeutsch im Kindergarten. Ich kann die Ängste um das schöne Berndeutsch nicht nachvollziehen; ich selbst liebe alte Wörter. Mein Grosi und seine Schwestern geben sich etwa ein «Ärfeli», wenn sie sich sehen: eine herzliche Umarmung. So ein hübsches Wort!

Das hab ich in mein Wörter-Museum aufgenommen. Ich mag auch «Vagant» oder «Längizyti» oder «Hootsch», freue mich über lautmalerische Verben wie «tschudere» oder «tschädere». Erst kürzlich hab ich gelernt, was das Vogulisi für eine ist! Huiuiui!

Mit meiner Generation an der Front muss sich niemand Sorgen machen, das Berndeutsch sterbe aus. Weil die ist ja total rückwärtsgewandt. Sitzt auf alten Möbeln, hört alte Musik, macht alt aussehende Fotos. Wir sind super Konservatoren.

Wir sollten uns eher um die Hochsprache sorgen. Schon mal Schweizer mit Ausländern reden gehört? Da ist dann fertig Verben konjugieren. Neulich die Chefin im Laden zur asiatischen Angestellten: «Ciao Fresh, wir schauen dann morn, ob du ender nach Hause können.»

Aber es gibt auch immer wieder Anlass, für Frühenglisch zu plädieren. Mich streifte der Gedanke kürzlich in Interlaken, als ich am Bahnhof auf einem Plakat las: «Fuck me, i’m a celabertie!»

Sarah Pfäffli

Samstag, 4. Dezember 2010

Bienne: Winter in der Stadt

In Biel war also jetzt auch Winter. Schlimm. Salz an den Schuhen, Matsch auf dem Trottoir. Traurigkeit und Müdigkeit in den Gesichtern.

Es sei noch gar nichts entschieden, sagte ein alter Bekannter, der sich gerade einen Enteisungsspray für sein Schloss gekauft hatte und mich zwecks Begiessung dieser Anschaffung zu einem Glühwein einlud.

Der Bekannte sprach über die Wahlen in Biel und sagte noch einmal: Entschieden ist noch gar nichts. Im zweiten Wahlgang im Kampf ums Stadtpräsidium kommt es zum Showdown zwischen dem Steuerverwalter, der auch zum Bräteln Frack trägt, und der grünen Lesbe.

Ich überlegte kurz und widersprach. Entschieden ist mit dieser Wahl schon viel, sagte ich. Der Porsche-, der Taxi- und die anderen Spassmobilfahrer von rechts aussen hatten im Kampf um das Stadtpräsidium nämlich null Chance. Damit haben wir das Schlimmste abgewendet.

Der alte Bekannte sah das zum Glück ähnlich – wohl auch, damit wir das Thema Politik endlich ad acta legen und einen zweiten Glühwein ordern konnten. Sein Kollege, sagte der Bekannte, sei jetzt aus dem Klub der Wandervögel ausgetreten. Dort sei leider immer nur gewandert worden.

Es dauerte ein paar Sekunden. Dann verschwanden Traurigkeit und Müdigkeit für einen Moment aus unseren Gesichtern.

Samstag, 27. November 2010

Bern: Weg da!

Ich bin auch ein Velorowdy. Ich fahre immer bei Rot über die Ampel, wenn da niemand sonst fährt. Vor meinem Haus hats ein Trottoir, aber keine Trottoirabfahrt, sodass ich jeweils ein paar Hundert Meter darauf fahre, bevor ich ohne gröbere Erschütterung runterkomme. Regelmässig werde ich deswegen von älteren Menschen angemotzt.

Ich kann ihren Ärger nachfühlen. Als Velofahrerin ärgere ich mich ständig über Fussgängerrowdys, die einfach auf die Strasse latschen, ohne sich umzusehen. Oder über Autorowdys, die vor mir rechts abbiegen, ohne in den Rückspiegel zu schauen.

Wenn ich mal Auto fahre, nerven mich dafür die doofen Velofahrer, die zu zweit ohne Licht nebeneinander fahren. Und die Fussgänger, die bei Rot über die Ampel vor dem Bahnhof rennen.

Was ich wiederum auch mache, wenn ich selbst zu Fuss unterwegs bin – nur, um mich dann über die arroganten Autofahrer aufzuregen, die bei Dunkelorange noch über die Kreuzung rasen. Und dann diese dämlichen Velofahrer, die sollen gefälligst für mich bremsen!

Ich sag jetzt mal was: Es ist alles eine Frage der Perspektive.

Sarah Pfäffli

Samstag, 20. November 2010

Bienne: Die Wahl

In Biel war dermassen hässliches Wetter, dass einem nichts anderes übrig blieb, als sich mal mit der anstehenden Wahl des neuen Stadtpräsidenten zu befassen. Ich machte mich also auf in die Beiz, wo ein alter Bekannter schon mit den Prospekten sass.

Wir wussten: Die Wahl ist nur deshalb ein Ereignis, weil wir nach gefühlten 2000 Jahren nicht mehr den besten Stapi der Welt und Mr. Expo.02 himself, Mister Hans Stöckli, wählen können. Er tritt ab.

Zur Verfügung stehen jetzt: ein Steuerverwalter, der wahrscheinlich selbst zum Bratwurstbraten im Stadtpark im Frack erscheinen würde. Ein schwuler Steuerexperte. Ein stets adrett gekämmter Porschefahrer mit rechtspopulistischem Einschlag. Ein lustiger Taxifahrer. Und eine grüne Lesbe.

Wen er denn nun wählt, wollte der Bekannte partout nicht sagen. Dafür erzählte er eine Anekdote aus Stöcklis Amtszeit. Einmal, da sei der Hans aber fuchsteufelswild geworden, sagte er, nur einmal. Eine Journalistin habe ihn kürzlich gefragt, ob er eigentlich während der Expo.02 auch schon Bieler Stadtpräsident gewesen sei.

Fabian Sommer

Samstag, 13. November 2010

Bern: Bümpliz brönnt

Sie stamme aus einer «Scheissgegend in Bern», hat Edita Abdieski im Fernsehen verkündet.

Edita Abdieski, das ist die in etwa 238. Person, die in einer deutschen Castingshow gewonnen hat, aber vor allem die 1. Person, die aus Bümpliz stammt und schlecht darüber redet. Totale Premiere! Alle anderen Bümplizer sind völlig Fan von ihrem Hood. Bümpliz isch im Fau z Geilschte. Hab ich schon 100-mal gehört, den Satz.

Womöglich ist die Bümpliz-Euphorie bloss ein Fall von kognitiver Dissonanzreduktion: Man kanns ja nicht aushalten, irgendwo zu wohnen, wo mans total scheisse findet. Und wenn man nicht zügeln kann, muss man halt das Denken ändern.

Aber vielleicht ist Bümpliz auch tatsächlich the place to live. Nur weiss das niemand ausserhalb von Bümpliz. Man weiss: Dort wohnen die Ausländer. Dorthin fährt ein überfüllter Rumpelbus, der abrupt bremst und in dems einem schlecht wird.

Scheissgegend.

Ich hingegen denke: Bald kommt das Tram, dann kommen die Grafikbüros, dann die In-Beizen. Gentrifizierung, Mann. Bümpliz brönnt, ihr werdet sehen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 6. November 2010

Bienne: Zwei Zahlen und ein Zeichen

In Biel war der vielleicht schönste Sonntag der Geschichte. Unsere Hockeyaner hatten soeben den SCB 7:1 weggeputzt, und in Köpfen und Herzen der Biennois prägten sich zwei Zahlen und ein Satzzeichen auf ewige Zeiten ein: 7:1. 7:1. 7:1. 7:1. 7:1.

Ich wollte gerade meine Katze rot-gelb einfärben und mit zwei gekreuzten Beilen verzieren, als mich ein alter Bekannter auf den Boden der Realität zurückholte. Sein Chef, berichtete er, habe offenbar einen Floskelkurs für Manager besucht und wende die dort inhalierten Sprachblasen nun gerne und oft an. Ab sofort gebe es nichts mehr Wichtiges, sondern nur noch «Zentrales». Auch Schlussfolgerungen würden nicht mehr gezogen. Der Chef beginne seine zusammengefassten Erkenntnisse jetzt mit dem wunderbaren Wort «Summa summarum».

Er erwäge, eine Versetzung zu beantragen, meinte der Bekannte. So möchtegern sei das.

In den folgenden Tagen wurde mir schmerzlich bewusst, dass auch andere Chefs in anderen Branchen oft von «zentralen» Dingen sprechen.

Summa summarum wars mir egal. Zentral blieben zwei Zahlen und ein Satzzeichen.

Fabian Sommer

Samstag, 30. Oktober 2010

Bern: Zmorge

Ich bin gerade in Kalifornien. Das schreib ich, weils schön blöffig klingt, aber auch, weil ich hier was gemerkt habe: Touristen, die Bern besuchen, tun mir leid. Denn das Schönste an Ferien ist ja das Zmorge. Im Ausland erhält das Essen eine Bedeutung wie im Altersheim: Jede Mahlzeit wird gefeiert, und die beste von allen ist die erste. Der Tag voller Möglichkeiten, man ist guter Dinge, die Zeitung noch frisch. Jede Stadt, die was auf sich hält, verfügt deshalb über gute Frühstückslokale.

Nur Bern nicht.

Zmorge gibts hier fast nirgends, und wenn, dann bis 9 Uhr oder aber gleich ein Buffet für 45 Stutz. Und das nur am Sonntag.

Dagegen Kalifornien: Breakfast in jeder Beiz. Zmorge ist hier big. Eier in allen Varianten, Cereals, Toast, Früchte. Olé olé USA! Einmal konnte ich mich nicht zwischen Pancakes und Oatmeal entscheiden. Darauf unsere Gastgeberin: Du kannst beides haben. Alles ist möglich, das ist Amerika.

Daheim gäbe es ein trockenes Gipfeli. Das ist Bern.

Sarah Pfäffli

Samstag, 23. Oktober 2010

Bienne: Das Gute daran

In Biel war der Wurm drin. So viel Negatives über die eigene Stadt in so kurzer Zeit; das schlägt selbst unbekehrbaren Biennois wie meinem alten Bekannten aufs Gemüt.

Nur schnell zur Erinnerung, sagte er bei Pfefferminztee mit Vieille Prune. Bielerseeboots-Drama, Kneubühl-Drama, Hurenmord-Drama, Angeschossener-Ivorer-Drama, Verdächtiges-Paket-im-Zentrum-Drama.

Aber, sagte der Bekannte und lächelte, all die Dramen haben auch ihr Positives. Die Bieler Polizisten und ihre verschiedenen Gehilfen haben jetzt ein schlechtes Gewissen dem gemeinen Bürger gegenüber. Stimmt, die sind plötzlich alle so nett, sagte ich.

Nun ging es darum, unsere These mit Fakten zu untermauern. Und wir mussten nicht lange überlegen: Exzessiver Parkzeitüberschreiter A (er) und exzessiver Parkzeitüberschreiter B (ich) haben den wöchentlichen Parkbussenschnitt seit dem Kneubühl-Drama von 160 auf sagenhafte 0 Franken gesenkt!

Fabian Sommer

Samstag, 16. Oktober 2010

Bern: Shoooeess!

Kürzlich war meine Cousine aus Australien da. Sie spricht gut Berndeutsch mit englischem Akzent. Das ist auf der Sexiest-Akzente-Skala noch weiter oben als Berndeutsch mit französischem Akzent, finde isch. Auch ihr Verlobter versuchte sich im Bärndütsch. Wenn wir uns verabschiedeten, sagte er extra affektiert: Schuuuuuuuss!

Mit der Zeit nervte es ein wenig.

Bis ich herausfand, warum er das so sagte. Der Cousinenverlobte hatte von einem Engländer, der in der Schweiz lebt, eine Anleitung fürs Berndeutsche bekommen. Zwar nur einen abgegriffenen Zettel, der es aber in sich hat. Er verrät Englischsprechenden, wie man die wichtigsten deutschen Wörter ausspricht.

«Chew the Gum» für Tschuudigung.

«Donkey Field Mouse» für danke vielmals.

«Trout Salmon» für tschau zäme.

Und dann dreimal raten, was für tschüss stand:

«Shoes (high voice)»

Hihi. Shooooeeeees!

Samstag, 9. Oktober 2010

Bienne: Sack

In Biel war schon Oktober und irgendwie noch immer Sommer. Die Leute sassen draussen und tranken Wein vom See. Ich war da selbstverständlich dabei und gerade mit einem alten Bekannten vor einer Bar, als wir einer Begegnung zweier offensichtlich alter Freunde beiwohnen durften.

Freund 1 stand vis-à-vis jener Bar, vor der wir sassen. Er war ein durchschnittlicher, gepflegter, älterer Herr. Freund 2, der gerade auf Freund 1 zukam, hatte sehr fettige Haare, sehr gelbe Zähne, einen sehr verfilzten Bart. Und ein Jeansgilet mit kleinen Plüschtieren an Schlüsselringen.

Als dann Freund 1 Freund 2 per Handschlag begrüssen wollte, sagte Freund 2 wörtlich: «Spinnst du? Jetzt war deine Hand so lange in deinem dreckigen Hosensack und an deinem dreckigen Sack! Und jetzt willst du, dass ich sie anfasse!»

Freund 1 verabschiedete sich bald darauf mit einem sauberen Schulterzucken. Und wir bestellten noch ein Glas Wein.

Fabian Sommer

Samstag, 2. Oktober 2010

Bern: Antworten

Was ich schon lange mal sagen wollte respektive nicht immer wieder sagen mag:

1. Nein, ich habe kein Feuer.

2. Es hat noch jeder einen Sitzplatz im Zug gefunden. Ihr braucht nicht so zu drängeln auf dem Perron, wenn die Leute aussteigen wollen.

3. Liebe Mädchen und nicht mehr so ganz Mädchen: Leggins sind keine Hosen.

4. Lieber Barkeeper, ich stehe hier schon sehr lange. Bitte zwei Stangen.

5. Nein, keine Panachés. Es gibt Frauen, die trinken Bier.

6. Liebe Coiffeuse, nein, Sie brauchen mich nicht zu unterhalten, ich will eigentlich bloss einen neuen Haarschnitt und dazu Tratschheftli lesen.

7. Nein, ich will nicht spenden.

8. Lieber Kebabmann, wie seit zweieinhalb Jahren: ohne Zwiebeln, mit wenig Scharf.

9. Lieber Bekannter, nein, ich habe nicht kalt, und wenn du mir mit dieser Frage sagen möchtest, dass ich zu wenig anhabe, dann sags doch einfach.

10. Nein, ich habe kein Fränkli für ein Gschänkli, und selber Holterdipolter, im Fall.

Samstag, 25. September 2010

Bienne: Kneubühl

In Biel war wieder Ruhe. Endlich hatte man Zeit, die aufregenden Tage bis zur Verhaftung von Peter Hans Kneubühl zu verarbeiten. Ein Spassvogel wollte Superhund Faro als Nachfolger von Stadtpräsident Stöckli portieren, ein anderer forderte ein Denkmal für den Köter im Stadtzentrum.

Bemerkenswerter fand ich die offenbar wahre Geschichte, die ein alter Bekannter erzählte. Dessen Mutter wohnt im Lindenquartier, unmittelbar neben dem Haus des Amokläufers. Am Tag zwei des Dramas bezogen schwer bewaffnete Elitepolizisten in ihrem Garten Stellung, den Finger stets am Abzug. Die gute Frau machte den Jungs ab und zu Kaffee und hielt sich ansonsten im Hintergrund.

Am Tag drei fehlte von Kneubühl weiterhin jede Spur. Die Mutter des Bekannten allerdings bekam einen klaren Befehl. Die drei Hanfpflanzen dort hinten im Beet, sagte ein Schwerbewaffneter, die müssen Sie ausreissen. Sofort.

Fabian Sommer

Samstag, 18. September 2010

Bern: Basiskapitalismus

Früher, als ich noch jedes Wochenende zweimal in den Ausgang ging (liebes Leben, ist diese Phase wirklich vorbei?), war ich auch jedes Wochenende in der Reitschule. Deshalb werde ich auch ein kräftiges I love Reitschule in die Urne werfen.

Für Jugendliche ist das nämlich ein tipptopper Ort. Nicht nur wegen der Musik im Dachstock. Und weil halt alle dort sind. Und weil man dort so viel raucht und trinkt und küsst und konsumiert und sich dabei schön antikapitalistisch fühlen kann.

Sondern ein wenig auch, weil Erwachsene die Reitschule blöd und/oder gefährlich finden. Dann müssen Jugendliche grad extra hin, das ist quasi ihr Job.

Heute bin ich nur noch selten in der Reitschule. (Eben, das Alter!) Neulich am Flohmarkt. Es gab Ramsch und Kettensägen. Und ein Gspänli erzählte mir: Wenn man dort sein Zeug verkaufen will, muss man am Morgen um 4 Uhr vor dem Tor stehen und ellbögeln wie verruckt, damit man einen guten Verkaufsplatz bekommt.

«Basiskapitalismus», nannte sie das. Uiuiui!

Sarah Pfäffli

Samstag, 11. September 2010

Bienne: Freibier

In Biel war Eröffnungsfest eines Lebensmittelladens im Bahnhof. Man fuhr tatsächlich mit der Rolltreppe in den neuen Shop hoch, geehrte Kollegin Pfäffli, es war eine Sensation.

Und weil die Situation grad passte, musste ich dem alten Bekannten neben mir den alten Witz erzählen. Was ein Berner auf einer Rolltreppe sei, fragte ich. Dummheit am laufenden Band, antwortete er korrekt.

Hihi, machten wir und orderten mehr Freibier. Dann wechselte der Bekannte endlich das Thema. Er sei kürzlich mit einem Freund in dessen Auto in eine Polizeikontrolle geraten, erzählte er. Und dort habe er zum ersten Mal überhaupt einen witzigen Polizisten erlebt.

Der Schmierlatz habe nach Führerausweis und Fahrzeugausweis verlangt. Und dann nach dem «Arztzeugnis des Beifahrers». Als sein Freund stutzig guckte, sagte der Polizist, der Herr müsse sich ja offensichtlich nicht angurten. Die Höhe der Busse betrug 60 Franken.

Fabian Sommer

Samstag, 4. September 2010

Bern: Rolltreppen

In Züri hat man was ausgeheckt. Neu stehen Schilder im Bahnhof, die den gemeinen Pendler ermahnen, auf der Rolltreppe links zu gehen und rechts zu stehen. Ich sage: Schilder sofort nach Bern importieren!, denn hier herrscht Rolltreppen-Anarchie, und so sehr ich die Freiheit jedes Einzelnen hochhalte, so sehr bin ich Fan von Regeln, die machen, dass mir kein Freizeitmensch mit Koffer im Weg steht.

Deshalb bewundere ich die Engländer. Die können nämlich Rolltreppe fahren. Und sie können Schlange stehen. Sie machen das freiwillig. Wie hübsch! Die Berner können das nicht. Hat man am YB-Match gegen Tottenham wieder gesehen: Hauptsache vordrängeln. Nicht mal zivilisiert fürs WC oder für eine Wurst anstehen können die Berner. Immer haben sie Angst, zu kurz zu kommen.

Ich frage mich, wie das in Biel ist. Können die Seelandais Schlange stehen? Und Rolltreppe fahren? Wobei: Gibts in Biel eigentlich Rolltreppen?

Sarah Pfäffli

Samstag, 28. August 2010

Bienne: Französisch

In Biel stand das Wochenende der Kermesse de la vielle ville vor der Tür. Altstadtchilbizeit, liebe Nichtbieler. Die Marktfahrer zimmerten ihre Stände zusammen. Ich schlenderte durch Untergässli, Ruelle de l’Hôtel de Ville und Ring und genoss die Vorfreude aufs letzte Fest des Sommers, die auf den Gesichtern und in der Luft lag.

Am Ende der Strasse stand eine Bushaltestelle, und ich traf dort einen alten Bekannten. Er war bereits in Herbststimmung, da gerade von der Teampräsentation des EHC Biel kommend.

Im Hinblick auf die in 13 Tagen beginnende Saison sei es doch schon mal ein gutes Omen, dass sich die EHC-Ausländer den hiesigen Sprachgepflogenheiten anpassen, meinte er. Auf die Frage des Moderators, ob es seiner Familie in Biel gefalle, habe der italokanadische Hockeygott R. F. auf Französisch geantwortet: «Ma famille est folle.»

Fabian Sommer

Samstag, 21. August 2010

Bern: Quasi Kreisfluss

Einer der schönsten Orte Berns ist die Mauer vor dem Landhaus. Entdeckt hat den ein Gspänli von mir, und ich bin jetzt auch Fan. Der Ort ist so schön, weil er kein offizieller Ort ist. Meist geht man an ihm vorbei. Er wird erst zu einem Ort, wenn man sich auf die Mauer setzt.

Dann sieht man, wie sich die Aare hier eng an die Altstadt schmiegt. Man starrt ein wenig ins Wasser, guckt mitleidig die Jogger an und hört Autos übers Kopfsteinpflaster rattern. Ab und zu hüpft jemand in die Aare. Jemand anderes nimmt einen Schluck Bier, macht einen tiefen Seufzer und sagt: Das isch Läbesqualität. Ein schönes Sommerritual, finde ich.

Kürzlich fuhr die Polizei vorbei und machte grosse Augen. Wir sagten: Gump!, und die Gielen sprangen. Was wiederum zwei amerikanische Touristen beeindruckte. Das darf man in Bern!

Dann fragten die Amis, ob man wieder am gleichen Ort rauskommt, wenn man hier in die Aare geht. Quasi Kreisfluss.

Darauf tranken wir noch eins.

Sarah Pfäffli

Samstag, 14. August 2010

Bienne: Vorurteile

In Biel war gerade alles easy. Weil einen aber das nicht vor der Dienstpflicht bewahrt, rückte ich ein. Und als ich ankam in der grossen Stadt an den Grenzen zu Deutschland und Frankreich, sah ich mich wieder einmal mit Vorurteilen konfrontiert. Biel? Sehr gefährlich. Aus Biel? Strube Siechen dort. Ein Bieler? Du verkaufst sicher Drogen.

Als ich nach Hause kam, versuchte ich, die Touristenbrille aufzusetzen. Am Bahnhof verschreckte ein bärtiger, sehr alter Alkoholiker Passantinnen, indem er sich von hinten an sie anschlich und ihnen ins Ohr schrie. Nebenan sassen Männer aus Nordafrika und Ex-Jugoslawien und tauschten Geldscheine und Säcklein.

Ganz kurz dachte ich, die Vorurteile über meine Stadt seien gerechtfertigt. Dann kam ich in die Altstadt. Dort lief ein Konzert unter Sternenhimmel. Ein junger Mann mit Irokese tigerte hin und her, riss immer wiederkleine Hanfpflanzen aus Blumenkisten und verteilte sie dann feierlich den Damen auf dem Platz.

Fabian Sommer

Samstag, 7. August 2010

Bern: Capital Impressions

Am Sonntagmorgen ist Bern wie eine Stadt aus einem Weltuntergangsactionfilm. Das einzige Leben sind dann Touristen. Dann sieht man mal, wie viele das sind. Zurzeit, so steht es in meiner Privatstatistik: so viele wie noch nie. Sie sammeln Capital Impressions (Slogan von Bern Tourismus). Yeah.

Manche Berner nerven sich ja über die fotografierenden Herden. Ich aber will super Impressions hinterlassen. Deshalb bin ich immer extra nett. Faltet eine Japanerin einen Stadtplan auf, bin ich schon zur Stelle. Hat sich beim Bahnhof ein Schwede auf die Welle verirrt, hüpfe ich herbei und stelle klar: «Nej, das ist nicht der Hauptausgang.» Ich bleibe still, wenn in meiner Hörweite ein Amerikaner seinem Kind sagt, im Bundeshaus lebe der Präsident. Und ich schweige selbst dann höflich, wenn im Tram eine Deutsche ihrem Mann erklärt, in der Schweiz würden alle Städte ihre Junkies nach Bern schicken.

Weil auch das sind halt Capital Impressions.

Sarah Pfäffli

Samstag, 31. Juli 2010

Bienne: Daheim

In Biel war endlich richtig Sommer, als ich aus den Ferien zurückkehrte: verhangener Himmel, 22 Grad. Ich sass auf einer Bank am Zentralplatz, als sich ein kleiner Herr mit Hosenträgern zu mir gesellte. Ein Stadtoriginal, Sie wissen schon.

Als ein Polizeiauto vorbeifuhr, erklärte er, weshalb Uniformierte stets zu zweit unterwegs sind: Damit einer «Gesundheit» sagen kann, wenn der andere niesen muss. Dann erläuterte er, weshalb Bauern beim Sex so laut schreien: Weil sie für einmal etwas aus dem eigenen Sack abgeben, ohne Subventionen zu kassieren.

Dass sich jemand einfach zu einem setzt, passiert ja manchmal, dachte ich. Doch dann ist Ruhe und fertig. Aber irgendwie findest du dich immer nur in Biel auf einer Bank neben redseligen Hosenträgerträgern wieder. Nach zwei Wochen in Bern und Griechenland wurde mir plötzlich bewusst, was ich im Ausland vermisst hatte.

Fabian Sommer

Samstag, 24. Juli 2010

Bern: Anti-Aging

Das Problem am Älterwerden ist nicht der körperliche Zerfall. Das Problem ist, dass sich alles wiederholt. Alles schon mal erlebt, das meiste in Besser. Diese Band? Schon 2003 gesehen. Diese Mode? Trage ich seit Jahren. Diese Story? Hundertmal gelesen. Das Leben wird je länger, desto langweiliger, weil es immer weniger erste Male gibt.

Mein erstes Gurtenfestival zum Beispiel! Da schliefen wir auf der Wiese und sahen UFOs und … wow!!! Letztes Wochenende, mein 13. Gurtenfestival: Quasi Routine. Nichts Neues auf dem Hügel. Das Einzige, was bleibt, sind Geschichten.

Zum Beispiel die: Morgengrauen auf dem Gurten. Man besteigt das Bähnli zur Talfahrt. Auch Hockeyspieler Mark Streit wartet, neben einem Typen mit langem blondem Haar. Da brüllt ein Mann durchs Bähnli: «Lue da! Der berüemtischt Bärner Sportler auer Zyte!»

Alle schauen sich um. In die Stille ruft der laute Mann:

«Dr Alain Sutter!»

Super Anti-Aging.

Sarah Pfäffli

Samstag, 17. Juli 2010

Bienne: Alternative

In Biel war das Volksfest Braderie seit einigen Stunden zu Ende. Eine beinahe bedrohliche Stille lag über der Stadt. Müll, Bierzelte und Menschen waren weggeräumt.

Es wurde Zeit, sich gewisse Beobachtungen der vergangenen drei Tage in Erinnerung zu rufen. Da war einerseits der ältere Herr, der am Montagmorgen um 1.30 Uhr rücklings mit ausgestreckten Beinen in einem Gebüsch lag und sich nicht mehr alleine befreien konnte.

Andererseits war da der alte Bekannte, der die Nacht auf Sonntag im Vorraum meiner Toilette verbrachte. Er war offenbar während der Geschäftsverrichtung eingenickt und dann runtergefallen. Als ich ihn fand, bettete er seinen Kopf gerade in einen mit Katzenfutter gefüllten Napf. Ich schlug ihm laut die Matratze im Abstellraum als Liegeplatz vor. Der Bekannte öffnete die Augen und schaute sehr ernst. Dann sagte er: Das ist eine gute Alternative.

Fabian Sommer

Samstag, 10. Juli 2010

Bern: Scheinschwanger

Etwas müsse da im Wasser sein. Irgendein Virus. Das mutmasste kürzlich ein mir bekanntes Frollein über das Lorrainebad. Die Epidemie, die dort grassiere: Kinder. In der Lorrainebadi wird man schwanger!, sagte sie sehr überzeugt. Ich sagte: Geh ich gleich mal gucken.

Und sie hatte recht. Überall Bekinderte. Überall Lenis, Lenas, Lunas, Luans, Mias, Neos, die mit Sonnencreme eingeschmiert wurden oder aus Tupperware gefüttert oder im Plantschbecken gereinigt. Gern rannten sie auch davon, immer rennen kleine Kinder davon.

Ich schaute ein wenig zu, hielt mich aber von allen Ansteckungsherden fern. Dann ging ich den Altenberg hoch, verbrannte mir die Füsse, sprang in die Aare, stiess einen spitzen Kälteschrei aus und liess mich treiben.

Erst als ich wieder daheim war, bemerkte ich meinen Bauch. Er war ganz rund. Kurz dachte ich, ich hätte mich angesteckt.

Aber es waren nur die Pommes frites mit Currysauce. Puh.

Samstag, 3. Juli 2010

Bienne: Fussball

In Biel war überall Fussball-WM. Ich traf überall Bekannte. Mit einem von ihnen schwelgte ich nach dem tristen Spiel Schweiz - Honduras in der gemeinsamen Juniorenfussballzeit.

Damals hatten wir einen Trainer namens Harry F. Er war ein Mann der weisen Worte. Als wir einmal bei 31 Grad um den Aufstieg in die zweittiefste D-Junioren-Klasse kämpften und um einen Kübel Wasser an der Seitenlinie bettelten, sagte er: Schweiss kühlt auch, Giele. Ein Spiel später stellte er dann einen Mittelstürmer mit Rückennummer 2 auf. So verwirre man den Gegner, erklärte er.

Der alte Bekannte und ich wurden uns gerade darüber einig, dass Harry F. Ottmar H. unbedingt als Nationaltrainer ablösen muss, als aus dem Nichts ein Mann auftauchte. Es war der nur erstaunlich wenig gealterte Harry F. Als Erstes fragte er, ob es eigentlich politisch korrekt sei, Blaise Nkufo als schwarzes Loch für Bälle zu bezeichnen.

Fabian Sommer

Samstag, 26. Juni 2010

Bern: Hollywood

Bern ist ja so was wie Hollywood. An jeder Ecke ein Star. Am Rodeo Drive (Amthausgasse) in den Promi-Schuppen (Diagonal, Fédéral et al.) ist die Dichte besonders hoch. Oft zwar nur Politiker, aber hey, immerhin. Letztes Mal: ein Wirtschaftsboss, der ein Grosi-Einkaufswägeli hinter sich herzieht. Anderes Mal, anderes Lokal: Ein Ex-Mister-Kandidat tanzt besoffen auf dem Tisch. Und wer schaut zu? Ein Eishockeyprofi und ein Boxer, der jede Frau in Sichtweite anflirtet. Im Technoclub trifft man an Weihnachten einen alternden Musiker. Im Spital wird man von einer Ex-«Musicstar»-Kandidatin gepflegt. Im Café lauscht man dem Ärger einer Actrice. Im Quartier trifft man die Dings, die eine Affäre mit dem Dings hat, und wohnt neben einem selbst ernannten Pornodarsteller. Ü-be-rall Stars!

Das ist einfach ganz wunderbar. Und geht nur, weil die Berner so wahnsinnig diskret sind. Hier kann man eben noch auf die Strasse, ohne dass es am nächsten Tag in der Zeitung steht.

Hihi.

Sarah Pfäffli

Samstag, 19. Juni 2010

Bienne: Frienisberg

In Biel war Sonntagmittag, dunkle Wolken hingen über den Hügeln rund um die Stadt. Richtung Chasseral war es dunkelgrau, Richtung Frienisberg schon nachtschwarz.

Ich traf einen alten, aber entfernten Bekannten. Die Wetterlage inspirierte uns, eine alte Weisheit auszugraben. Keine Sorge, heute regnets nicht, sagte ich. Die dunklen Wolken ziehen über den Frienisberg weg, wie immer.

Einige wortlose Minuten in der brennenden Sonne später wurde der Bekannte plötzlich nachdenklich. Mit den dunklen Wolken, meinte er in ernstem Ton, sei es möglicherweise wie mit anderen problematischen Dingen im Leben. Er denke da an SCB-Fans. Oder an Menschen, die mit leuchtvioletten Rucksäcken an die BEA pilgern. Oder an Fussballteams, die immer im letzten Spiel alles verlieren.

Man muss nur am richtigen Ort leben, sagte der Bekannte, dann zieht das Dunkle automatisch über den Frienisberg weg.

Fabian Sommer

Samstag, 12. Juni 2010

Bern: Bittersüss

Randständiger Wurmfarn, Knotige Braunwurz, Gewöhnlicher Fenchel, Aufgeblasene Lobelie, Wilde Karde, Festknolliger Lerchensporn, Dornige Hauhechel, Goldlack, Ballonpflanze, Leberblümchen, Wunderbaum, Bittersüss, Echtes Seifenkraut, Kleine Bibernelle, Edel-Gamander, Etagenzwiebel, Einjähriger Beifuss, Muskateller-Salbei, Schleime (grün), Klatschmohn, Europäischer Wolfsfuss, Echte Ochsenzunge, Echte Hundszunge, Löwenschwanz, Scharfer Hahnenfuss, Virginischer Tabak, Ausdauerndes Bingelkraut, Aufrechtes Glaskraut, Weiblicher Waldfarn, Wanzenkraut, Warzenkraut, Zottiges Purpurglöckchen, Gebräuchlicher Ehrenpreis, Taumel-Lolch, Gemeines Lungenkraut.

In Bern gedeihen ganz viele seltsame Pflänzchen. Nur sind nicht alle so gut verwurzelt und so hübsch anzuschauen wie jene dort am kühlen grünen Hang, unter der Brücke, an der Aare, wos so schön ist, dort, im Botanischen Garten.

Ich wollt, ich wär ein Bittersüss.

Samstag, 5. Juni 2010

Bienne: Kinder

In Biel war Gartenparty. In einer Badewanne mit Eis lagen geschätzte vierhundert Halbliterdosen Bier und gezählte zwei Literflaschen Mineral. Ich traf viele alte Bekannte.

Einer von ihnen war bereits ziemlich bouré und erzählte die seiner Meinung nach beste Lebensweisheit aller Zeiten. Am Abend, sagte er, lege er die Zeitung jeweils in den Kühlschrank. Damit er am nächsten Morgen schön frische Nachrichten habe.

Ich lächelte müde und ging einen Tisch weiter. Dort ging es um die Weisheiten der Kinder, ein definitiv gutes Thema. Ein Freund habe ihre fünfjährige Tochter drei Minuten vor Schluss des kürzlich ausgetragenen Champions-League-Finals gefragt, was denn die Bayern noch tun könnten, um den Match beim Stand von 2:0 für Inter Mailand noch zu drehen, erzählte eine Bekannte. Sie wisse etwas, habe das Mädchen geantwortet: Leibchen tauschen.

Fabian Sommer

Samstag, 29. Mai 2010

Bern: Hobby-Gastronomie

Hier droht wieder mal eine hübsche Bar zu schliessen. Seit Wochen jammere ich deswegen lauthals und tatenlos – so, wie es sich in Bern gehört. Dabei war ich zuletzt gar nicht mehr oft dort. Denn wenn ich rein wollte, war meist alles voll, und am besten Tisch sassen die Stammgäste und taten wichtig. Und wenns doch mal Platz hatte, machte das Personal grad Pause, und ich kam mir blöd vor zu stören.

Das ist jetzt übertrieben und emotional. Trifft aber auf viele meiner verhinderten Lieblingsbeizen zu. Wo Studis im Service arbeiten, die einem ständig zu spüren geben, dass sie im Fall einen viel tolleren Job verdient hätten und im richtigen Leben super Künstler sind. Da hab ich natürlich ein schlechtes Gewissen, bei denen etwas zu bestellen. Kürzlich, als wir wieder irgendwo ganz dämlich bedient wurden, äusserte mein Gspänli den schönen Satz: In Bern grassiert die Hobby-Gastronomie.

Aber jetzt wird alles gut. Ich habe ein neues Lieblingslokal. Es hat einen Grill, und das Personal ist ganz vorzüglich.

Mein Balkon ist im Fall ein absoluter Geheimtipp.

Sarah Pfäffli

Samstag, 22. Mai 2010

Bienne: Keinen Umweg wert

In Biel war alles en ordre. Die Leute hatten sich Mühe gegeben vor dem Spiegel; die Häuser in der Altstadt schienen in der Abendsonne noch pittoresker als sonst. Auf den Pflastersteinen zeichnete sich der Schatten einer mächtigen Linde ab. Die Bielerinnen waren mit Velos unterwegs.

Es gab Rum mit geschmolzenem Honig und Zitronensaft. Eine Brise Heimatstolz umwehte meine Seele.

Ich traf einen alten Bekannten, der mehrere Jahre im Ausland gelebt hatte und mittlerweile ins Seeland zurückgekehrt ist. Er erzählte, was ihm am Ende der Welt half, wenn ihn das Heimweh schier zerriss: Er las Reiseführer über Biel.

Gutes über Biel lesen tönt sehr gut, dachte ich. Ein paar Tage später stand ich in der Buchhandlung. Ich nahm den «Lonely Planet» über die Schweiz aus dem Regal. Auf Seite 239 stand: «Biel ist nicht hübsch, düster und keinen Umweg wert.»

Fabian Sommer

Samstag, 15. Mai 2010

Bern: Pssst

Pssst. Ich sag jetzt mal was, aber das darf man in Bern nicht zu laut sagen. Weil hier will man die Dinge nicht verschreien. Könnte ein schlechtes Omen sein, zu früh darüber zu sprechen, findet sogar der Lauener. Also besser nur flüstern. Weil es geht hier nicht um den SCB, dort ist man sich Erfolg gewohnt, da darf man auch mal blöffen und selbstbewusst rumgröhlen. Das Thema hingegen, das ich hier besprechen will, ist eben sehr delikat. Und wir Berner mögens normalerweise nicht so gern laut. Geübt durch jahrelanges, stilles Leiden. Wir lamentieren nach Niederlagen nicht gross, weil wir eigentlich grundsätzlich davon ausgehen, dass wir eh verlieren. Wir jammern nur ganz leise. Und wenn wir dann doch mal gewinnen, ist das dann mehr so Überraschung. Wir mögen Understatement nicht – wir sind Understatement. Deshalb ist das so heikel, was ich gern sagen möchte. Also bloss nicht weitersagen. Pssst. Nicht, dass es jemand hört. Okay? Okay:

YB gewinnt im Fall morgen. Ratzfatz Meister.

Sarah Pfäffli

Samstag, 8. Mai 2010

Bienne: Religion

In Biel war Vollmond. Man sprach über al-Qaida, den Bin Laden des Seelandes, das Burkaverbot. Und über weitere schweinegrippeähnlich aufgebauschte Themen der Stunde.

Ich setzte mich mit einem alten Bekannten in eine Bar, wir suchten Ablenkung. An der Theke sass ein südeuropäischer Mitbieler und soff sich ins Elend. Er hatte soeben seine elfte Stange leer getrunken und war gerade daran, eine Lokalrunde zu spendieren. Der Barkeeper stellte dem Südeuropäer kleine Häppchen aus Brot und gepökeltem Schweinefleischerzeugnis nebens Bier. Der Mann aber lehnte dankend ab. Er sei Moslem und das da auf dem Teller Schweinefleisch. Hallo, geht nicht.

Der Barkeeper lachte. Aber saufen, sagte er, das darfst du dann.

Geistesgegenwärtig antwortete der Südeuropa-Bieler mit einem Spruch, der wohl sämtlichen Religionsdebatten gut täte. Allah, sagte er, sei derzeit in den Ferien.

Fabian Sommer

Samstag, 1. Mai 2010

Bern: Krawall-Touristen

1. Mai, aber hallo! Was hast du dieses Jahr auf Lager? Persönlich hoffe ich zwar (für den Ruf der bei mir beliebten Reitschule), dass es heuer kein blödes Theater gibt. Weil: Krawall unter dem Deckmäntelchen der Politik ist in meinen Augen etwas für verwöhnte Babypunks.

Dachte ich schon letztes Jahr, da war ich am 1.Mai in Zürich. Das war ein ganz formidables Volksfest. Das gebeutelte Arbeitervolk (sprich: Hipster und junge Eltern mit Kindern, die Max und Sophie heissen) genoss seinen verdienten freien Tag und sass auf der Kasernen-Wiese, während draussen der Krieg tobte – ich wusste ja gar nicht, dass Gummischrot gar keine kleinen Kügelchen sind, wie ich mir das immer vorgestellt habe!

Auf dem scherbengepflasterten Weg zum Bahnhof entdeckte ich eine Sprayerei. Ein 031er-Tag. Kenn ich doch!, dachte ich, und vermutete, zu wissen, weshalb es in Bern verhältnismässig ruhig geblieben war. Nicht nur ich –auch Berns Krawallmacher hatten wohl einen 1.-Mai-Ausflug unternommen. Ui.

Sarah Pfäffli

Samstag, 24. April 2010

Bienne: Vögel

In Biel war Mittag und Sonnenschein, man konnte wieder einmal draussen essen. Ich traf eine alte Bekannte.

Wir verdrängten das anstehende Leben-oder-Tod-Hockeyspiel vom Wochenende und streiften dafür im Gespräch kurz die Berner Bärenbabys. Viel süsser, sagte die Bekannte, sei das Bieler Biberbaby, das seit kurzem im Parc d’Elfenau lebe.

Wir erfanden weitere Tierkinderalliterationen, die Zürcher Zwergziege, das Solothurner Stachelschwein und die Schwarzenburger Suppenschildkröte etwa.

Dann wurde unsere Frühlingsdiskussion jäh durch eine recht merkwürdige Afrobielerin unterbrochen. Die Gute postierte sich auf der Terrasse des Restaurants, tigerte hin und her und gestikulierte wild vor sich hin. Dazu schrie sie in einer uns unbekannten Sprache auf ein imaginäres Gegenüber ein.

Sie liebe unsere Stadt und ihre verwirrten Vögel, meinte die alte Bekannte.

Fabian Sommer

Samstag, 17. April 2010

Bern: Eishockey

Ich bin eine Eishockey-Skeptikerin. Nicht der Sport stört mich; der ist bei mir als schönes, hartes, schnelles Männerspiel beliebt. Sondern die Fans. Ich fühle mich unter ihnen, nun ja, nicht daheim. Die einzige Ausnahme bilden – Achtung jetzt – die Anhänger des EHC Biel.

Meine Sympathien für sie gründen in einem Schlüsselerlebnis: Vor ein paar Jahren stand ich an einem Biel-Match in der Fankurve, als neben uns zwei glatzköpfige Männer auftauchten, die ihre rechte Gesinnung nicht eben verbargen. Die Bieler Fans bemerkten sie, vergassen das Spiel und skandierten so lange «Nazis raus!», bis die zwei gedemütigt von dannen zogen. Ich hatte Gänsehaut.

Am Donnerstag war ich nun wieder mal an einem Biel-Spiel. Der EHCB lag in der Serie vorne und verlor logischerweise 1:5, weil auch die Bieler eben Berner sind und sich schwertun mit der Favoritenrolle. Nachdem Lötscher kurz vor Schluss doch noch zum Ehrentor getroffen hatte, forderten die Bieler Fans: «Egalisez! Egalisez!». Et c’est pour ça que j’aime les Biennois.

Sarah Pfäffli

Samstag, 10. April 2010

Bienne: Stöckli

In Biel war bald Wochenende, und für einmal wurde die Wahlpropaganda von Rechtsaussenparteien wie der SVP Realität: Es herrschte ein Klima der Angst.

Es war nicht die Angst vor Ausländern, Kriminellen, Hip-Hoppern, saufenden Teenies, SCB-Fans. Es war echte Angst. Angst vor dem Fall ins Bodenlose. Vor schmerzhafter Leere. Angst vor Eishockey in Liga B.

Für den EHC Biel stand die Ligaqualifikation an, und ich wollte niemanden treffen.

Hatte Anfang Woche mit dem EHCB-Präsidenten gesprochen. Ihm gehe es sehr schlecht, sagte er. Hatte vom EHCB-Chefberichterstatter der Lokalzeitung gehört. Er könne nicht mehr und habe sein Amt abgegeben, hiess es. Hatte versucht, Stadtpräsident Hans Stöckli anzurufen. Zumindest das linderte die prädescente Depression ein wenig. Auf seiner Combox hat der Mann den schönsten Bieler Lokalpatriotenspruch für seine Zwecke adaptiert: «Ici, c’est Stöckli.»

Fabian Sommer

Samstag, 3. April 2010

Bern: Genauso, nur anders

Am Bahnhofeingang auf jemanden warten ist eine gute Übung für die Toleranz. Nicht nur demjenigen gegenüber, der einen versetzt. Hier, im Rauchverbotsgrenzgebiet und nah am Alkoholnachschub, machen Jugendliche tagein und vor allem tagaus das, was nur Jugendliche können: rumlungern.

Die Mädchen-Jugendlichen haben die Haare selbst blondiert und Extensions drangepappt. Dazu tragen sie spassige Sonnenbrillen und sonst möglichst wenig. Die Buben-Jugendlichen sind entweder Rap oder Heavy, diese Dualität gilt seit Menschengedenken. Mädchen- und Buben-Jugendliche tun so, als fänden sie einander doof. Je später der Abend, desto besoffener sind oder spielen die Jugendmenschen. Sie rauchen viel und schreien manchmal, um Passanten zu erschrecken.

Ich stehe da so in den Rauchschwaden eines brennenden Aschenbechers, in dieser Übergangszone zur Stadt, zum Rauchen, zum Erwachsensein. Schaue ein wenig zu und finde das alles sehr doof.

Dann lächle ich tolerant. Ich war mal genauso. Einfach in anders.

Sarah Pfäffli

Samstag, 27. März 2010

Bienne: Spitzenplatz

In Biel war Frühling, überall kam Sonne hin. Ich las die Kriminalstatistik des Kantons und sah, dass unser Amtsbezirk bei der Anzahl Straftaten pro 1000 Einwohner an der Spitze liegt.

Mir lief ein alter Bekannter über den Weg, der eine anschauliche Anekdote zu besagter Statistik auf Lager hatte. Er erzählte vom traditionsreichen Antiquitätengeschäft in seinem Wohnhaus, das kürzlich an einen neuen Besitzer aus dem westafrikanischen Raum übergegangen ist. Im Schaufenster des Ladens sei ein Esstisch gestanden, den er gerne für ein Fest ausgeliehen hätte, sagte der Bekannte. Personal habe er im Geschäft aber vergeblich gesucht. Dafür seien im Hinterraum fünf Männer daran gewesen, Hanfblüten in ansehnlicher Menge zu sortieren und abzupacken.

Dass im Antiquitätengeschäft jemand nach Möbeln fragt, habe die Jungs offensichtlich sehr überrascht. Den antiken Tisch aber hat er dann bekommen, gratis gar. Er steht noch heute in seinem Esszimmer.

Fabian Sommer

Samstag, 20. März 2010

Bern: Jööö!

Jööö! Diese Bärli! Noch nie hat in Bern etwas so schnell und reibungslos geklappt: Bärenpark auf, Bärenfrau schwanger, flauschige Bärchen tapsen rum. Hätte es noch besser laufen können? Man stelle sich nur vor, nach vier Jahren Bärlilosigkeit hätte sich Bernd Schildger den Medien stellen müssen, um zerknirscht zu erklären, man versuche es jetzt halt mal mit In-Vitro-Fertilisation. Aber nix da! Alles total super!

Jetzt ist Bern also noch herziger als vorher. Jööö. Dabei sind wir doch eh schon die Jööös der Schweiz. Zumindest in Zürich fühle ich mich als Bernerin manchmal, als wäre ich selbst ein Bärenbaby. Jööö! Berndeutsch ist so schön! Ihr Berner seid so gemütlich! Jööö. Und dann bekommt man in Zürich ständig diese übertriebenen Begrüssungen und Abschiede. Immer gleich umarmen. Wie in Amerika. Ich mag das nicht, so viel Nähe von mir wenig bekannten Menschen. In der Hinsicht bin ich ein wenig unterkühlt.

Vielleicht eher ein Eisbärenbaby.

Sarah Pfäffli

Samstag, 13. März 2010

Bienne: Joghurt im Zug

In Biel war Endstation. Alle aussteigen.

Bei der Baustelle am Bahnhof traf ich eine alte Bekannte. Sie kam offensichtlich gerade aus dem Zug. Diese verdammte Joghurtesserei im Abteil, fluchte sie. Dann legte sie los.

Kein anderes Nahrungsmittel sei so ungeeignet, in der Öffentlichkeit zu sich genommen zu werden, wie ein Joghurt, sagte die Frau, eine studierte Psychologin übrigens.

Dieses Löffeli-aus-dem-Knistersäckli-Nehmen! Dieses frivole Deckelablecken! Dieser stiere Blick in den Becher! Diese hektischen und nicht enden wollenden Löffeli-zu-Mund-Bewegungen! Diese schleimigen Blasen im Mund! Und nicht zu unterschätzen: die Becherexplosionsgefahr bei Wärme! Joghurtessen sei einfach zu intim für ein Zugabteil.

Sie fordere jetzt Massnahmen von der SBB, meinte die Bekannte. Ein joghurtfreier Waggon pro Zug müsse doch drinliegen.

Fabian Sommer

Samstag, 27. Februar 2010

Bienne: Sicher nid Bärner

In Biel war die Fasnacht vorbei und sogar der Goalie des Hockeyklubs wieder nüchtern. Ich fütterte am See Enten und traf einen alten Bekannten.

Er sprach ein brisantes Thema an: Herkunftsbezeichnungen. In den Medien, sagte er, sei ständig die Rede von Bernern, wenn eigentlich Bieler gemeint sind. Bieler Spieler seien Berner Spieler. Bieler Nationalräte Berner Nationalräte. Und Bieler Firmen Berner Firmen. Das nerve, sagte der Bekannte. Wir würden ja auch nicht sagen, Rapperswiler seien Sankt-Galler, Oltner Solothurner oder Emmentaler einfach Berner. Er sei jetzt mehreren Facebook-Gruppen beigetreten. «Ich bin Bieler und kein Berner» (747 Mitglieder), «D EHCB-Jungs si Bieler oder Seeländer, aber sicher nid Bärner» (246 Mitglieder).

Ich war nachdenklich und ging nach Hause. Dort trösteten mich 1679 Leidensgenossen. Sie sind Mitglied der Facebook-Gruppe «Petition: Biel als eigener Kanton».

Fabian Sommer

Samstag, 20. Februar 2010

Bern: Tüüfeli

Wenn ich nur fotografieren könnte! Dann würd ich ein super Fotoprojekt machen. Es hiesse «Tüüfeli» und würde alle Bernerinnen zeigen, die als Teufelchen verkleidet an die Fasnacht gehen. Neben jedem Bild hinge ein Foto der Frau im Alltagsoutfit. Damit würde ich illustrieren, wie die Leute in Bern einmal im Jahr einfach total aus sich rauskommen.

So Zeugs überlege ich mir, wenn ich an die Fasnacht denke. Denn die hat in meinem Kopf weniger den Ruf eines fröhlichen Volksfests denn einer Sauferei, bei der in jede Ecke gebislet und gekötzlet wird.

Ich sehe da nur drüber hinweg, weil ich mir selber gern Verkleidungen ausdenke. Zum Beispiel als Berner DJ-Duo Round Table Knights. Als «Wuffli, ein Fall für den Tieranwalt». Als Hipster, mit Hornbrille, Karohemd und Röhrlijeans.

«Alles viel zu subtil. Fasnacht ist ironiefreie Zone», sagt mein Gspänli. Ich nicke. Setze mich ans Fenster eines hübschen Cafés, das sich als Tapasbar verkleidet. Und zähle Teufelchen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 13. Februar 2010

Bienne: EKF, EKF, EKF!

In Biel war es grotesk: schon Olympiapause, kein Hockey. Noch Winterpause, kein Fussball. Setzte ich mich halt in eine Bar und traf einen alten Bekannten.

Wir unterhielten uns über die grotesken Dinge im Leben, als ein fein gekleideter, etwa 45-jähriger Mann das Lokal betrat. Er sprach ohne Pause. Ich wusste plötzlich, was mit der Redensart gemeint ist: Es sprudelte nur so aus ihm heraus.

Er habe heute Geburtstag, wie Marlene Dietrich. Was, 4 Franken 20 für eine Cola, dafür könnte er sich ja ein Sixpack kaufen. Der Dritte Weltkrieg stehe bevor, und die Schweiz? Mittendrin! Er wisse es aus sicherer Quelle. Aber er sei gerüstet. EKF, EKF, EKF! Er wiederholte es immer wieder. Elektronische Kriegsführung, erklärte er, mit dem Handy Bomben zünden.

Dann verschwand der Mann in die Nacht. Und es war auf einmal gar nicht mehr grotesk, dass manchmal gleichzeitig Olympia- und Winterpause ist.

Fabian Sommer

Samstag, 6. Februar 2010

Bern: Geliebte Lakonie

Es gibt Fragen, auf die sollte man immer eine Antwort parat haben. Fragen nach Hobbys, Lieblingsfilm und Lieblingssong zum Beispiel. Kürzlich kam auf dieser Liste eine weitere dazu. Ein alter Bekannter fragte mich: «Und wo gehst du so in den Ausgang?» Wir sassen im Tram, es war Freitagabend, um uns herum tranken sich die Kids fürs Barstreet-Festival warm.

Früher hatte ich manchmal noch einen Lieblingsclub. Aber das ist wohl eine Altersfrage. Inzwischen bin ich am liebsten dort, wo private Zusammenrottungen stattfinden. Denn es gibt ihn für mich nicht mehr in Bern, den richtigen Ort. Es gibt nur das richtige Personal.

Dazu gehört jener junge Herr, der mich kürzlich in einem zugerauchten Keller nach meinen Hobbys fragte. Mangels der oben empfohlenen Vorbereitung sagte ich blöd: «Schöne Kleider sammeln.»

Worauf mich der Herr musterte und fragte: «Warum ziehst du sie dann nicht an?»

Geliebte Berner Lakonie! Er zog grinsend davon; ich lachte, hustete ein wenig und dachte: Am Barstreet-Festival wäre mir so was Hübsches nie passiert.

Sarah Pfäffli

Samstag, 30. Januar 2010

Bienne: Rue du Congo

In Biel war Dienstagabend, alles leer. In einer Vitrine lagen Schokoriegel. Twix heisst wieder Raider, aber das nur nebenbei.

Ich traf einen alten Bekannten. Einen, der ziemlich politisch ist. Vor ein paar Jahren, berichtete er, habe ein Antiquitätenhändler in Paris ein Emailschild mit der Aufschrift «Rue du Congo» erstanden und es an die Fassade seines Bieler Hauses gehängt. Das verzierte Gebäude sei in einer schmalen Passage ohne eigenen Strassennamen gestanden. Ein Stadtrat von Rechtsaussen habe dann im Parteiblatt drüber geschrieben.

Der Bekannte kramte einen Zettel hervor, den er offenbar seit Jahren aufbewahrt. Dann las er vor, was der Politiker formuliert hatte: «Ich warne davor, dass unsere Strassenzüge still und illegal anhand der verfehlten Einwanderungspolitik geändert werden.»

Wir verschoben uns von der General-Dufour-Strasse an den General-Guisan-Platz und tranken ein Bier aus Afrika.

Fabian Sommer

Samstag, 23. Januar 2010

Bern: Die Schotten sind nicht dicht

Keine andere Stadt der Welt beschäftige sich so sehr mit sich selbst wie Bern. Das hab ich kürzlich in einem alten Artikel gelesen. Nun: Ich würde mich ja gern mehr mit anderen Städten beschäftigen. Nur geht das so selten.

Jetzt grad ist eine Ausnahme: Ich bin in Edinburgh. Einer anderen halben Hauptstadt. Wo auch alles in Laufweite liegt. Und ich bin ganz entzückt: weil hier alle Museen gratis sind. Weil die Leute Schlange stehen an der Bushaltestelle. Weil sie auf der Rolltreppe rechts stehen und links gehen. Ich setze mich in einen Pub und denke, dass ich gern ein wenig schottische Kultiviertheit nach Bern bringen würde.

Dann setzen sich zwei Frauen neben mich, beide mit einer Flasche Wein. Je! Eine! Ich schaue irritiert in die Zeitung. Und lese, dass viele Schotten täglich Ketchup essen, damit ihr Gemüsekonsum so hoch ist wie von der Regierung empfohlen.

Die Berner sind vielleicht selbstreferenziell und unkultiviert. Aber die Schotten sind doch auch nicht ganz dicht.

Sarah Pfäffli

Samstag, 16. Januar 2010

Bienne: In Grau

In Biel war noch immer Winter. Es hatte Pflotsch, die Schuhe der Menschen in der Stadt waren vom vielen Salz ganz grau. Ich traf einen alten Bekannten. Es gab Kaffee und kroatischen Baumnussschnaps, unser Thema war Fernsehen.

Wir haben in Biel ja einen eigenen Sender, TeleBielingue. Und auf ebendiesem sagte die Moderatorin kürzlich Impressionen aus dem winterlichen Biel an. Man sah: drei Tauben. Auf grauem Platz. Vier Schwäne. Auf grauem See. Einen kleinen Jungen mit Schlitten. Auf grauem Schnee. Eine Ansicht der Stadt vom etwas höher gelegenen Tierpark aus. In Grau.

Wir seufzten leise über unser Fernsehprogramm, gingen nach draussen und rauchten eine. Am Strassenrand lugte ein Maiglöckchen aus der Matschdecke. Vis-à-vis zungenküsste ein Punker mit Hund seine Freundin.

Ich glaubte, im grauen Zigarettenrauch einen Hauch Frühling zu erkennen.

Fabian Sommer

Samstag, 9. Januar 2010

Bern: Kleinmut

Immer an Feiertagen erinnere ich mich daran, was ich an Bern hasse. Dann versteckt sich in meiner Strasse ein Securitas-Rentner. Den ganzen Tag lang, oft in bitterer Kälte, lauert er darauf, dass jemand an! einem! Feiertag!! seinen Abfall in der Recyclingstation des Quartiers entsorgen will. Dann hüpft er aus seinem Hinterhalt und füllt einen Bussenzettel aus. Sein unterdrückt freudiger Gesichtsausdruck dabei erinnert mich an die Mine der Berner Tramkontrolleure, wenn sie – inkognito, aber mit Umhängetasche und MBT-Schuhen doch unfreiwillig uniformiert – einen Schwarzfahrer erwischen. Oder an die Gesichter der Leute im Bus, die schadenfreudig schauen, wenn man vergeblich auf den Türknopf drückt – und der Bus schliesslich doch ohne einen davonfährt.

In Situationen wie diesen wird es sichtbar: Berns kleinmütiges Gesicht. Nicht die Einwohnerzahl macht eine Stadt zur Metropole. Sondern die wahre Grösse ihrer Bewohner. Deshalb voilà mein Wunsch für 2010: nachhaltiges Wachstum. Messi.