Samstag, 31. Dezember 2011

Bienne: Alles neu

In Biel war der Weihnachtswahn in Geschäften und Strassen vorbei, es war eine Befreiung. Endlich gab es wieder andere Themen als Bäume, Brunsli und den ganzen anderen Bullshit.

Zum Apéro traf ich einen alten Bekannten; einen, der alles Neue und Innovative und Mutige grundsätzlich teuer, unrealistisch und doof findet. So wetterte er denn auch gegen das seiner Meinung nach völlig überflüssige Regiotram, das in zehn Jahren das linke Seeufer mit dem Bözingenfeld im Osten unserer Stadt verbinden soll.

Ich konnte dann zum Glück für einmal mit historischem Wissen punkten. 1877 nämlich, so las ich kürzlich, wurde in Biel ein Rösslitram eingeweiht, das zweite der Schweiz notabene. Es war ein Symbol des Fortschritts, schuf Arbeitsplätze und trug einen wundervollen Namen: Tramways Bienne. So cool könnte auch das Regiotram werden, sagte ich zum Bekannten.

Der aber träumte längst. Er stelle sich gerade vor, wie das Rösslitram bimmelnd durch die Bahnhofstrasse rattere, seufzte er. Ich nickte, verabschiedete mich mit besten Wünschen fürs neue Jahr und trat ganz nostalgisch gestimmt auf die Strasse.

Dort zeigte ein kleines Mädchen seiner Freundin ihr neues Fahrrad. Sie betätigte die Klingel und sagte dann stolz: «Mein neuer Klingelton.»

Fabian Sommer

Samstag, 24. Dezember 2011

Burn: Crazy Familien

O du Weihnachten! Heute findet wieder der urbane Exodus statt; alle in die Stadt migrierten Landeier fahren aufs Dorf, der Bahnhof wird voll sein von Leuten mit feierlichen Mienen und Taschen, aus denen Geschenke quellen. Inklusive mir, ich bin Weihnachtsfan, ich liebe das. Wie meine Familie Berge von Essen auftischt, jeder bringt was mit, bei Gekauftem wird diskret die Nase gerümpft, und ab und zu wird jemand ironisch sagen: Jetzt haben wir wieder zu wenig zu essen! Oder: Nächstes Jahr suche ich mir eine Familie, in der es genug zu essen gibt!, und nie verleidet uns der Witz. Irgendwann werden wir Spiele spielen, ich werde verlieren und wütend werden, wie schon immer, und meine Schwestern werden sagen: Das ist, weil du nie im Kindergarten warst. Später werden wir etwas singen, so halb motiviert, weil irgendwer darauf besteht. Und am Abend spät werde ich mit meinen Gspänli vor der Reitschule anstehen und hoffen, dass wir noch reinkommen, und meine Gspänli werden Anekdoten von ihren eigenen crazy Familien erzählen; das war schon immer eine wohltuende Erkenntnis, dass keine Sippe perfekt ist. Familie halt. Weihnachten halt. Ich hoffe bloss, es gibt genug zu essen. Und nicht wieder zu wenig Päckli.

Sarah Pfäffli

Samstag, 17. Dezember 2011

Bienne: Im Zahlen-Flash

In Biel war fast Weihnachten, und ich hatte erst ein einziges Geschenk. Zum Glück half ein alter Bekannter bei der Ideensuche. Er warf mir in einem fort Zahlen an den Kopf.

15, sagte er zuerst. So viele Punkte habe der EHC Biel im Moment mehr als Langnau. Oder 40. So viele Franken koste es in Biel, wenn man eine Parkkarte hat, aber aus Platznot nur die Hälfte eines blauen Feldes belegen kann. Oder 34. So hoch sei der Ausländeranteil an Bieler Schulen in Prozent. Das sei Schweizer Rekord und der Grund, weshalb viele unserer Freunde, die Kinder bekommen, aus der Stadt wegziehen, sagte der Bekannte.

In mir blinkte die Zahl 060, die Laufnummer einer Meldung der Nachrichtenagentur SDA von dieser Woche. Eine Studie zeigt, dass Primarschüler in Klassen mit hohem Ausländeranteil genauso gut lernen wie in reinen Schweizer Klassen.

Für ihre Doktorarbeit hat eine Erziehungswissenschafterin 42 Klassen im Kanton Bern auf Leistung und Intelligenz untersucht. Nicht einmal in Klassen mit 30 Prozent Ausländeranteil waren die Leistungen der Schüler schlechter.

Ich hatte auf einen Schlag ein Dutzend Weihnachtsgeschenke besorgt. Alle meine Eltern werdenden Freunde finden in einer Woche diese Doktorarbeit unterm Tannenbaum.

Fabian Sommer

Samstag, 10. Dezember 2011

Burn: Schöne Aussicht

Nächste Woche ist schon fast wie Weihnachten, nein besser: Da sind Bundesratswahlen, das heisst, man kann am frühen Morgen fenele, im Pischi mit der Decke vor den Fernseher und mitfiebern – wann macht man das sonst, ausser bei Skirennen!

Noch fast interessanter aber ist der Abend davor mit dem schwierigen Namen «Nacht der langen Messer». Vergangenes Jahr war ich am besagten Dienstag mit zwei Gspänli in der Bellevue-Bar. Wir latschten einfach rein, mit grossen Sporttaschen, in denen wer weiss was hätte stecken können, lange Messer zum Beispiel – hat niemand kontrolliert. Aber wir hatten ja auch nichts Böses im Sinn. Wir tranken nur ein paar Bier und schauten: wie sich Politiker wichtig machten; wie Journalisten um sie rumschlichen; wie der Mann, der am nächsten Tag gewählt werden würde, fleissig Hände schüttelte; wie sein Parteipräsident einem Nationalrat in fast bedrohlichem Ton empfahl: «Unsere zwei sind gut für euch»; und wie ein anderer Bürgerlicher das Barpersonal herumscheuchte: «Jetzt habt ihr mal was zu tun, hä! Jetzt seid ihr wohl überfordert, hä! Das ist doch kein Staatsbetrieb! Ha ha ha!» Es war ein sehr lustiger Abend, und am Ende dachten wir: Das kann man nur in Bern – live Politik schauen. So wie Fussball oder Eishockey. Oder Skirennen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 3. Dezember 2011

Bienne: Good Vibes

In Biel war eine angenehm heitere Stimmung, gute Vibes irgendwie, und das lag nicht an Petrus, sondern am Leben an sich. Daran konnten auch ein paar Schüsse im McDonald’s nichts ändern.

Im Fussball hatten wir wieder mal einen Grossen aus dem Cup geworfen (Servette), im Eishockey spielten wir zeitweise sieben Punkte Vorsprung auf die Memmen aus dem Tal (Langnau) heraus. Und im Ständerat hatten wir dafür gesorgt, dass Amstutz durch das «Musketier» de Bienne ersetzt wird (Stöckli). Er habe noch mehr tolle News, meinte ein alter Bekannter beim Feierabendbier. Am nächsten Donnerstag taufe die Fluggesellschaft Swiss einen Airbus auf den Namen Biel/Bienne, sagte er, das sei doch grossartig. Und das Flugi erinnere ihn an eine Anekdote aus dem Kindergarten, den sein Sohn besucht. Dieser habe kürzlich vor zwei Kameraden damit angegeben, dass sein Papi einen Audi S8 fahre und deshalb der schnellste Papi von allen sei. Sein Vater könne fliegen, eine Cessna, die sei viel schneller, konterte sein kleiner Kollege. Das dritte Kind in der Runde sei kürzlich aus Bern hergezogen, erzählte der Bekannte dann. Es habe gesagt, sein Vater sei der absolut Schnellste von allen. Er sei Beamter. Um fünf Uhr habe er Feierabend, um halb vier sei er schon zu Hause.

Fabian Sommer

Samstag, 26. November 2011

Burn: Gruusigi blaui Dräcksau

Einen Feind wünscht man ja niemandem. Trotzdem hatte meine Gang jahrelang gleich zwei, und das freiwillig. Es gab «dr chly Feind» und «dr gross Feind» – beides uns unbekannte Männer, denen wir in Bern ständig begegnet sind und deren Erscheinungsbild einfach nervte. Mit der Zeit wurden diese Namen derart normal, dass wir sie ganz beiläufig benutzten: «Und der Feind war auch noch da.» – «Welcher, der grosse oder der kleine?»

Erst viel später habe ich festgestellt, dass wir nicht die einzigen waren, die in der Kleinstadt ihre Feinde pflegten. Ein Gspänli von mir hat ebenfalls einen Feind, und er kannte auch einen Typ mit Übernamen «Zelt». Bei uns gab es zudem «die Eule», den Mann mit dem seltsamen Namen «Das Jahr» oder «die gruusige Saumoore». Ein anderes Gspänli kannte eine «Fernschönheit» sowie «die gruusigi blaui Dräcksau». Niemand weiss mehr, wie diese böse Bezeichnung entstand. Nach und nach verlieren solche Übernamen ihre Bedeutung, sodass man, ohne mit der Wimper zu zucken, erzählen kann: «Gestern sah ich die gruusige blaui Dräcksau in der Migros.»

Vor kurzem nun habe ich den kleinen Feind kennen gelernt. Es war mir insgeheim ein bisschen peinlich, weil er in Wirklichkeit sehr nett ist. Ich kenne jetzt seinen richtigen Namen. Aber in meinem Kopf, ich brings nicht weg, bleibt er «dr chly Feind».

Sarah Pfäffli

Samstag, 19. November 2011

Bienne: Der letzte Bus

In Biel war Freitagabend, Mitternacht, ich hängte mit der Clique ab. Eine sehr gelungene Rapzeile übrigens. Ist von Bligg. Aus jener Zeit, als der noch Musik machte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls sassen wir an einem alten Holztresen und diskutierten über die heutige Jugend und darüber, dass in unserer Stadt nachts wenig los ist. Diesbezüglich, bemerkte ein alter Bekannter zähneknirschend, habens die Berner schon ein wenig besser. Alle nickten.

Wir trösteten uns schliesslich damit, dass es bei uns weder eine Lackschuhtragpflicht noch eine Cowboys-Bar gibt und dass man mit 30 sowieso lieber an alten Holztresen sitzt als in Discos rumhängt und später Partyfotos auf Facebook stellt.

Um kurz vor 1 Uhr nahm ich den letzten Bus nach Hause, wie man das mit 30 so tut. Es sollte sich einmal mehr lohnen. Vis-à-vis sass eine angeheiterte junge Dame von etwa 18 Jahren. Ein Kontrolleur stieg zu und wollte ihr Ticket sehen. Sie hatte keins. Er fragte nach der ID. Sie hatte keine. Er fragte, ob sie sonst irgendein Dokument mitführe, mit dem sie sich ausweisen könne. Sie sagte Nein und hielt inne. «Aber auf Facebook bin ich, da kannst du mein Freund werden», meinte sie dann.

Fabian Sommer

Samstag, 12. November 2011

Burn: Der Boden ist schuld

Wir haben ein Spiel, es geht so: Wer häufiger stolpert, verliert. Es ist ein schönes Ferienspiel, weil es so simpel die Schadenfreude bedient und es so viele Gelegenheiten gibt, Punkte zu sammeln – schliesslich sind Trottoirs und Strassen an den wenigsten Orten der Welt so eben wie bei uns.

Das Stoglispiel funktioniert aber auch in Bern sehr gut, Kopfsteinpflaster sei Dank. (Lange meinte ich ja, es heisse «Klopf-steinpflaster». Ich fände das immer noch besser, aber ich passe mich halt an. Ich kenne auch jemanden, der meint, es heisse «ankerum» statt «handkehrum». Mir gefällt das.) Jedenfalls: Ständig sehe ich Leute stolpern, ein international verbreiteter Vorgang: Man stolpert, kommt ins Trudeln, fängt sich wieder und schaut sich ärgerlich um, als ob der Boden was dafür könnte. Schliesslich tut man so, als ob nichts geschehen wäre, und geht mit vorsichtigeren Schritten weiter.

Das ist die gute Variante. Die weniger gute ist: durch eine Passage in der Stadt sprinten, weil man das Tram erwischen will, und der vollen Länge nach aufs Trottoir fliegen. So geschehen – mir, kürzlich.

Ich stand auf, sah mich empört um (das Trottoir war schuld!) und ging weiter, klopfenden Herzens und mit schmerzenden Knien. Im Ferienstoglispiel hätte ich haushoch verloren. Aber ich tat natürlich so, als wäre nichts geschehen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 5. November 2011

Bienne: Am See

In Biel war schon Novemberdepression. Der EHC holte keine Punkte mehr. Die Sonne war nicht mehr länger als 15 Minuten am Tag zu sehen. Ein Alki sass im Coop-Supercenter hinter dem Bahnhof mit Bierdose auf einem dieser Massagestühle, ohne allerdings die fünf Franken für die Massage eingeworfen zu haben.

Nur gut, dass plötzlich ein alter Bekannter aufkreuzte und mich überredete, mit ihm eine Tour de Bielersee zu unternehmen. «Lass uns Seewein trinken», meinte er. Wir stellten dann rasch fest, dass der Bielerseewein von Jahr zu Jahr besser wird. Und beim Plaudern mit einem knorrigen Weinbauern aus Twann merkten wir, wie gut der Winzerhumor gegen die Novemberdepression ist. Der Mann erzählte uns die Anekdote von zwei Bielersee-Weinbauern, die in einem Bistro in Paris sitzen und einen Halben Twanner ordern. Der Kellner ist verwirrt und fragt beim Chef nach, was er tun soll. «Misch drei Dezi Essig mit zwei Dezi Hahnenwasser und stell das auf den Tisch», erklärt der weit gereiste Chef. Der Kellner tut, wie ihm befohlen. Die Weinbauern prosten sich zu, halten einen Moment lang inne. «Ich sage es ja schon lange», sagt der eine dann, «den guten exportieren sie.»

Fabian Sommer

Samstag, 29. Oktober 2011

Burn: Erholt euch!

Und dann muss das noch alles sein, die E-Mails, die man schon lange vor sich hingeschoben hat, die Krankenkasse wechseln, die Anrufe, die Wäsche, die Wäsche!, das Bad, die Küche, das Feriengeld umtauschen, die Abwesenheitsmeldung einrichten, die Zeitung abbestellen, die Nachbarin verständigen, die Tickets ausdrucken, die überteuerten Minitübchen Kosmetikzeugs kaufen, die Zehennägel lackieren, das Velo in den Keller stellen, die Tabletten besorgen, den Rucksack aus dem Keller holen, den Kram einpacken, auch die noch feuchten Kleider (die Wäsche!), den Pass suchen, den Kühlschrank ausräumen.

Dann ist Abend, und am nächsten Tag gehts los, das ist schön, aber natürlich erst mal Kopfweh, Entlastungsschmerz, der Körper mag das nicht, so von 100 auf 0, und produziert Phantomstress, und natürlich kann man nicht schlafen, weil immer noch zehn Dinge auf der Liste, die noch erledigt werden wollen, und am Morgen steht man viel zu früh auf und sitzt auf dem gepackten Rucksack und wartet und hat dieses ferientypische flaue Gefühl im Magen von Schlafmangel und Aufregung, und dann muss man auch noch ganz diskret-beiläufig das kleine Säcklein Restmüll an der Tramhaltestelle in den Abfalleimer werfen, so wie die knausrigen alten Damen.

Ferien. Endlich.

Sarah Pfäffli

Samstag, 22. Oktober 2011

Bienne: Wahltag

In Biel war der Altweibersommer passé. Alte Leute aber blieben bei uns im Gespräch. Anfang Woche diskutierte man noch überall über die SCB-Grossväter, die bei ihrer 2:3-Pleite im Bieler Hockeytempel wieder einmal uralt ausgesehen hatten.

Je näher der Sonntag kam, desto mehr drehten sich die Gespräche an Bushäuschen und Bartheken dann aber um die alten Memmen auf den Wahlplakaten. Alte Memmen seien es deshalb, meinte ein alter Bekannter, weil die aktuelle Wahlwerbung selbst gut aussehende junge Menschen zu 98,3 Prozent in hässliche alte Langweiler verwandle. Mit Ausnahme von Hans Stöckli natürlich, dem immer jungen Bieler Ex-Stapi.

Er wisse, dass er nicht der Erste sei, der sich das frage, polterte der Bekannte. Aber weshalb leiste sich eigentlich keine Partei fähige Grafiker und Fotografen? Ich fand keine Antwort. Auch nicht, als ich die Wahlprospekte nochmals durchsah. Es stehen effektiv fast nur Menschen zur Wahl, die als alte Pfeifen mit Schockgefrierlächeln ins Licht gerückt werden.

Und trotzdem haben wir längst gewählt, der alte Bekannte und ich. Schliesslich wollen wir nicht, dass George Shaw selig am Ende mit seinem uralten Satz recht behält. Er sagte: Demokratie ist die Garantie, dass wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.

Fabian Sommer

Samstag, 15. Oktober 2011

Burn: Trottinett, trottiblöd

Kleines Bern-Quiz: Was haben Manager, Kinder und Drogenabhängige gemeinsam? Die Antwort später, erst mal was anderes. Bei uns daheim liegt ein Buch über Schweizer Design rum. Das Erstaunliche daran ist das Cover: Es zeigt einen Mann in Anzug, der auf einem Trottinett die Strasse herunterfräst. Die Autoren hätten ein Bild eines Max-Bill-Möbels wählen können oder einer Uhr oder eines Sparschälers, aber nein. Ein Tretroller als Inbegriff des Schweizer Designs! Das Bild entstand 1998, damals waren Tretroller noch total so Dynamik und Erfolg.

Beim Anblick dieses Fotos realisierte ich, was Manager, Kinder und Drogenabhängige gemeinsam haben: Sie sind die Einzigen, die in Bern noch Trotti fahren. Bei Kindern ist das okay; auch Drogenkonsumenten sind absolut auf schnelle, unkomplizierte und günstige Mobilität angewiesen. Aber Anzugträger? Interessanterweise sind es ja immer Männer, nie Businessfrauen. (Trotti fahrende Frauen bevorzugen eher den postalternativen Look mit Filzkugelkette und Companeros-Schuhen.) Jedenfalls sollten meiner Meinung nach ernsthaft berufstätige erwachsene Menschen nicht trottinettlen. Aber meiner Meinung nach sollten unter 50-Jährige auch keine Elektrovelos fahren. Und ein Stadtpräsident sollte nicht mit dem Wort «geil» operieren. Doch auf mich hört ja niemand.

Samstag, 8. Oktober 2011

Bienne: Alte Weiber

In Biel war eine Sauhitze. Und das im Oktober. Ein alter Bekannter sagte: «Es ist Altweibersommer.» Ich hatte eine Besorgung im schönen Bern zu machen und freute mich auf der A 6, Höhe Münchenbuchsee, schon, dass ich zur Abwechslung einmal aus der Bieler Sonne in die Berner Nebelsuppe (!!!) fuhr, als am Horizont ein rotes Auto auftauchte. Ich dachte kurz an die Feuerwehr, dann an eine Fata Morgana. Doch auf der Überholspur kam tatsächlich eine alte Frau in einem roten VW Golf entgegen. Eine Geisterfahrerin! Solches Zeug liest und hört man ja viel und denkt immer, das erlebe ich nie. Und dann ist es plötzlich so weit, und die Gedanken rasen. Ich ohrfeigte mich schliesslich selber und versuchte im Rückspiegel zu erkennen, ob etwas passiert. Dann rief ich den Staat an. Ich dachte noch, merde alors, der Polizist fragt mich jetzt sicher, ob ich fahre und telefoniere und mich somit quasi selbst anzeige. Aber der Mann sagte nur, er sehe gerade, dass gerade mehrere Meldungen reinkämen wegen dieser Sache. Vier Minuten später hiess es im Radio: Entwarnung, die Geisterfahrerin auf der A 6 zwischen Lyss und Münchenbuchsee konnte aus dem Verkehr gezogen werden, nichts passiert. Vier Stunden später erzählte ich die Story dem alten Bekannten. «Sag ich ja», meinte er, «es ist Altweibersommer.»

Fabian Sommer

Samstag, 1. Oktober 2011

Burn: Teenage Nightmare

Ich habe ein neues Hobby, es heisst: besoffene Teenager zusammenlesen. Es gibt schönere Hobbys, aber was soll ich machen, wenn ich aus dem Zug aussteige und fast über einen Jungen stolpere, der es sich auf dem Perron auf Müllsäcken gemütlich gemacht hat? Dessen letzter Zug nach «Oohhhdiiachhh» (Oberdiessbach) längst abgefahren ist? Dessen Handy keinen Akku mehr hat? Eben. Weil der arme Junge sich auch nicht mehr an die Telefonnummer seiner Eltern erinnern konnte, holten wir halt zu schlechter Letzt die Polizei. Nicht weniger bemitleidenswert der Giel, der mir beim Kursaal entgegentorkelte, alle paar Schritte drohte er aufs Trottoir zu plumpsen, mehrmals tat er das auch. Zwei ältere Frauen schlugen sich entsetzt die Hände vor den Mund, taten aber nichts, also packte ich den Jungen und schleifte ihn zur Tramhaltestelle, wo er sich schön rosarot über seine Schuhe ergab. Er sei 14, sagte er, und habe im Wankdorf Club seine Konfirmation gefeiert. Die Eltern holten ihn eine halbe Stunde später mit besorgter Miene ab. Es war noch nicht einmal Mitternacht.

Ich ging heim und dachte: armer Giel. Morgen wird er grad zweimal Donnerwetter erleben, einmal im Kopf und einmal von den Eltern. Aber vielleicht lernt er was. Zum Beispiel, künftig Bier zu trinken statt Gummibärli.

Sarah Pfäffli

Samstag, 24. September 2011

Bienne: Promo pour Bienne

In Biel legte Madame Herbst ihren grauen Schleier über die Innenstadt. Das war einerseits einigermassen deprimierend, andererseits Gelegenheit, wieder einmal so wunderbare warme alkoholische Getränke wie Kafi Lutz oder Tee Rum zu konsumieren. Und auch Gelegenheit, innezuhalten und zurückzublicken. Auf rund dreissig Tage Biel-Bashing in den Medien, von «20 Minuten» bis «Tages-Anzeiger».

Ein alter Bekannter nahm sich die Mühe und legte eine kleine, aber furchteinflössende Auswahl aufs bereits vom Rum verklebte Bistrotischchen. Wir lasen. 22. August: «Explosionen und brennende Autos: Biel unter Schock». 26. August: «Biel – kleine Stadt mit heftigen Eruptionen». 31. August: «Jedes fünfte Kind in der Stadt Biel ist auf Sozialhilfe angewiesen». 6. September: «Reportage aus Biel: Eine Uhrenstadt kämpft gegen die Armut».

Wir schwiegen einen Moment. Das Schöne an diesen Geschichten sei ja, brummte der Bekannte dann, dass sich so ganz bestimmt kein Schwein mehr nach Biel traue und wir so die geilste Stadt der Welt, wie er sagte, für uns ganz alleine haben. Das sei mal echte Promo pour Bienne. Ich schlug eine Zeitung auf. Die aktuelle Schlagzeile über unsere Heimat verschwieg ich dem Bekannten dann, aus Rücksicht. Im «Blick» stand in fetten Lettern: «Biel – so stark wie nie!»

Fabian Sommer

Samstag, 17. September 2011

Burn: Die guten Alten

Wenn mich auf der Kornhausbrücke jemand auf dem Velo in einem Affenzahn überholt und ich erleichtert sehe, ach, ich bin gar nicht so lahm, das war wieder so ein Elektrovelo, denke ich: Diese Alten werden ja immer jünger. Und es gibt auch immer mehr davon.

Ein Arbeitskollege von mir zum Beispiel liess sich vor kurzem pensionieren. Dafür besuchte er eigens einen Kurs, weil so eine Pensionierung ist eine komplizierte Sache. Als er uns das erzählte, rieten meine Gspänli und ich ein bisschen, was für Ratschläge man Frischpensionierten wohl mit auf den Weg gibt:

nicht zur Feierabendzeit und am Samstagnachmittag einkaufen gehen?

Dem Frölein an der Kasse lieber mal ein Nötli geben, statt Münz exakt abzählen?

Ausflüge nicht unbedingt auf die Pendlerzeiten terminieren?

Vor dem Zug höflich warten, bis die Leute ausgestiegen sind (es hat für alle Platz)?

Jugendliche nicht zusammenscheissen (sie sind eh stärker, frecher, und es nützt nichts)?

Im Tram nicht schon drei Haltestellen vor dem Ziel aufstehen?

Unser Arbeitskollege, der Frischpensionierte, ist zum Glück ein humorvoller Mensch. Er lachte grossmütig über unsere schnippischen Vorschläge. Und meinte schliesslich: ja, etwa in die Richtung. Und Dignitas hatte bei dem Kurs auch noch einen Stand.

Sarah Pfäffli

Samstag, 10. September 2011

Bienne: Drama im Garten

In Biel war Mittag. Ein paar alte Bekannte hatten Lust auf Währschaftes, also fuhr ich mit ihnen in einen Vorort, in eine Banlieue quasi. Die Einheimischen nannten den Ort früher Brügglyn, weil sie ihn so cool fanden. Und ich muss sagen, Brügg bei Biel ist bis heute die beste suburbane Gemeinde der westlichen Hemisphäre.

Jedenfalls nahmen wir in einem lauschigen Biergarten Platz und bestellten Rüeblisuppe mit Rahmhäubchen, Spätzlieintopf mit Brotkrümeln und Zwiebelschwitze und einen Halben Eistee. Alles war gewohnt solid: Essen, Bedienung, die Alkis am Stammtisch. Wir genossen gerade gemeinsam Heimatgefühle, als sich Schreckliches ereignete. Ein stattliches Kaninchen war aus seinem nahe gelegenen Gehege ausgebrochen und rannte jetzt mit Höchstgeschwindigkeit durch den Biergarten, die Besitzerin, ein junges Mädchen, hinterher. Plötzlich Totenstille. Der grosse schwarze Hund eines Gastes am Nebentisch hatte zugeschnappt. Das Häschen starb noch auf der Unfallstelle, im Biergarten wagte man kaum zu atmen. Und was tat die Serviceangestellte? Sie gab uns eine Kostprobe typisch suburbanen Humors. Keine Angst, sagte sie, morgen haben wir sicher kein Kaninchen auf der Menükarte.

Fabian Sommer

Samstag, 3. September 2011

Burn: Baden macht selig

Sodeli, der Franken ist wieder ein bisschen schwächer, die Welt ist gerettet. Oder äch doch nicht? Ein bisschen hat mich in den letzten üblen Wochen das Gefühl beschlichen, dass es uns vielleicht niemals mehr so gut gehen wird wie gerade jetzt. Was ein neues Gefühl ist, weil es uns bisher doch immer noch besser und noch besser ergangen ist. Ich glaube, meinen Gspänli geht es ein bisschen ähnlich, aber da niemand so recht weiss, wie damit umgehen, umgehen wir das Thema einfach. Und hüpfen fröhlich in die Aare, sie schwemmt die Sorgen mit sich weg, und raus kommt man immer ein bisschen freier und besser, als man davor war.

Oder wir erzählen uns stundenlang Witze und Anekdoten. Eines meiner Gspänli berichtete beispielsweise, seine Grosseltern hätten früher Bedienstete beschäftigt. Als eines Abends Spanferkel gereicht wurde, bat die Familie die Haushälterin, das Schwein doch bitte mit einer Zitrone im Maul zu servieren. Die Haushälterin gehorchte widerwillig. Aber als sie schliesslich das Esszimmer betrat, hatte sie die Zitrone im Mund.

Wir weinten Tränen bei unserer Flucht in die gute, leichte, lustige alte Zeit. Selig ist das Volk, das Geschichten erzählen und in einem Fluss baden kann.

Aber von weit her weht schon ein ungewisser Herbst herbei.

Sarah Pfäffli

Samstag, 27. August 2011

Bienne: Linke Füsse

In Biel war fast Mitternacht, und das Thermometer auf dem Zentralplatz zeigte noch 33 Grad an. Vielleicht lag das daran, dass wir als weltweit wichtigste Metropole der Uhrmacherkunst eine japanische Digitaluhr mit Digitalthermometer auf den wichtigsten Platz der Stadt gestellt haben und die einfach nicht funktioniert. Womöglich war es aber auch einfach wirklich scheisse heiss.

Jedenfalls traf ich just unter der Uhr einen alten Bekannten. Einen, der viel zu erzählen hatte. Also erstens, sagte er, habe er gelernt, dass es bei echter Hitze nichts bringt im Bielersee zu baden. Da nütze, und das sage er als Bieler gerade gegenüber Bernern ungern, nur die Aare. Ich pflichtete bei, wenn auch schweren Herzens.

Dann kam der Bekannte auf einen Mann mit zwei offensichtlich linken Füssen zu sprechen, der kürzlich vor dem Volkshaus mit seinem Rollator mitten in einen Restauranttisch gefahren ist und daraufhin von Gästen und Personal versorgt werden musste.

Und als wäre das nicht genug, begann der Bekannte plötzlich über das «Schuh-Paradies» zu wettern. Ein Botty für die ganz Armen sei das, fluchte er. In einen dieser Schuhläden sei kürzlich ebenfalls ein Mann mit zwei linken Füssen gekommen, flüsterte er dann verschwörerisch. Er habe nach Flip-Flips gefragt.

Fabian Sommer

Samstag, 20. August 2011

Burn: Im Steuerparadies

Dann wurde es plötzlich doch noch Sommer, und wir lagen im Dunkeln auf dem warmen Asphalt. Wir stellten uns vor, die Militäranlage wäre ein Palast und die Kasernenwiese der Schlosspark, und starrten zum Himmel. Alle paar Minuten sah wieder jemand eine Sternschnuppe, nur ich nicht; unsere Haare rochen nach Rauch und Grill, wir hatten die Bäuche voll Bratwurst und Bier und sprachen über die üblichen Dinge: Massaker und Überfälle. Steuern, Progression und Abzüge. Sehr erwachsen und sehr unromantisch für diese romantische Nacht.

Ich hielt sogar ein flammendes Plädoyer fürs Steuerzahlen, erzählte von dessen fundamentaler Bedeutung für ein Staatswesen, nicht nur in finanzieller Hinsicht, zitierte Studien über Steuerexperimente in afrikanischen Dörfern, lobte unser Land, die Stabilität, die Sicherheit, die Sauberkeit, gar die hundekotfreie Wiese; ferner die Liberalität und dass man auf offener Strasse Alkohol trinken dürfe, obwohl das nun ja wohl gar nichts mit den Steuern zu tun hat.

Und ich schloss mit dem denkwürdigen Satz: «Ich zahle gern Steuern.» Am nächsten Tag hatte ich Kopfschmerzen, aua, und holte die Post aus dem Briefkasten. Darunter ein Brief von der Steuerverwaltung. Die zweite Ratenrechnung. Aua, aua, aua.

Sarah Pfäffli

Samstag, 13. August 2011

Bienne: Der Bettler

In Biel war fini Ferien. Für mich war das knüppelhart. Die Ernährung, die ich – USA sei Dank – zwei Wochen lang geniessen durfte, war per sofort umzustellen. Also Goodbye, du gesegneter Super-Duper-Double-Burger mit Bacon und Cheese und extra Jalapeños. Goodbye, du alles übertreffendes Pancake mit Erdbeeren und Ahornsirup. Goodbye, du formvollendetes Buffalo-Chicken-Wing. Ich träumte noch von fettigen Knoblauchpommes mit Cocktailsauce, als ich merkte, dass sich erstmals in der Heimat wieder Hunger meldete. Ein gutbielerischer Kebab mit Scharf schien mir das angemessene Gegenmittel. Ein Kebab, dachte ich, wird helfen, behutsam von Burgern und Co. runterzukommen. Der Kebabladen wurde zu einer Art Methadonabgabestelle für Amifoodabhängige. Und tatsächlich, ich entspannte mich. Nicht unbedingt, weil das pampige Fleischbrot gut schmeckte, sondern des unmittelbar folgenden Erlebnisses wegen. Der Kebab dampfte noch, als ich auf die Strasse trat und tout à coup ein Junkie mit Hund vor mir stand. Er wollte ein bisschen Münz. Ich kramte in der Hosentasche, der Hund schaute treuherzig auf mein Essen. Dann sagte der Junkie zu ihm: «Niiicht betteln! Du bekommst nichts! Niiicht betteln!»

Fabian Sommer

Samstag, 6. August 2011

Burn: Aare Ahoi!

Aareböötlen ist eine genuin bernerische Tätigkeit. Man sieht die Kleinstadtmatrosen an heissen Wochenenden im Bahnhof, sie warten am Treffpunkt, in Flipflops und mit blauen Ikea-Taschen, dem perfekten Transportmittel für Gummiboote. Profis haben Fässer dabei oder wasserdichte Säcke, damit das Grillgut trocken bleibt. Ich hatte mir einen Anker auf den Unterarm gemalt, immerhin. Im Thuner Schwäbis wird aufgepumpt, mit dem Kompressor kostets 4 Franken, die Freizeit-People reissen sich fast die Schläuche aus der Hand.

Schliesslich, endlich, treiben wir auf dem Wasser. So kalt, dass man nur reingeht, wenn man dringend muss. Kurz bevor es brenzlig wird, wechseln wir Steuermann – ein erfahrener Kapitän entert unsere wackelige Barke, ich verziehe mich kleinlaut auf ein stabileres Boot. Nichts gegen die MS Interdiscount, aber die Uttigen-Schwelle könnte ihren Untergang bedeuten, denke ich still bei mir, und dann erst das Widerwasser! Aber es geht alles gut, unsere furchtlose Flottille rudert unversehrt in stillere Wasser über. Jetzt ist es Zeit für ein Bier. Die Bäume am Rand schimmern silbrig, von weit her rauscht die Autobahn, ab und zu reiten wir über wilde Wellen.

Nur ein Stück billiges Plastik, die Natur – und wir. Und etwa hundert andere.

Sarah Pfäffli

Samstag, 23. Juli 2011

Bienne: Summer in the City

In Biel war der Hochsommer vor allem dadurch zu spüren, dass die meisten Biennois verreist waren oder zum grossen Seenachtsfest wieder nach Hause kamen. Wir Bieler feiern den Nationalfeiertag ja einen Tag früher als die anderen, am 31. Juli. Man munkelt, das sei deshalb so, weil wir uns am arbeitsfreien 1. August von den Strapazen von Feuerwerk und Feuerwasser erholen müssen.

Erholen muss sich manchmal auch die Polizei. Zumindest im Hochsommer aber scheint dies in Biel während der Arbeit möglich zu sein, wie ein Blick in die sogenannten Polizeichroniken beweist, die wöchentlich in den Bieler Zeitungen zu lesen sind. Da steht zum Beispiel: «Stolz präsentierte sich ein Pfau auf einer Strasse. Die angerückte Patrouille machte offenbar einen so grossen Eindruck auf das Tier, dass dieses daraufhin von selbst in seinen Park zurückkehrte.» Oder: «Ihre Mutter mache alles kaputt, meldete ein Mädchen der Polizei. Die ausgerückte Polizei ging der Sache auf den Grund. Die aufgeweckte Kleine wollte offenbar ihr Zimmer nicht aufräumen. Die Mutter warf die herumliegenden Dinge in der Folge kurzerhand zum Fenster hinaus, worauf sich die empörte Tochter bei der Polizei meldete.» Ich finde, und dies nach der Lektüre dieser Berichte mehr denn je: Es wäre schön, wenn einfach immer Sommer wäre.

Fabian Sommer

Burn: Sommer in Bern

Dieser Sommer ist weniger schlimm, wenn man nur einen kleinen Balkon hat und keine Zeit, um darauf rumzuhängen. Man ärgert sich dann weniger. Es bleibt einem auch das stundenlange Piepsen des Weckers erspart, den jemand in der Nachbarschaft jeden Tag abzustellen vergisst. (Vielleicht ja die gleiche Person, die ihr kabelloses Internetnetzwerk «Bumsgott» getauft hat?) Jedenfalls. Sogar dieser Sommer hat seine Geschichten. Und offenen Fragen. Eines meiner Lieblingsrätsel: Warum sind gerade Gesetzlose so autoritär? Dachte ich mir, als ich kürzlich einen Bronco einen Autofahrer anschreien sah. Ausgerechnet die Outlaws kümmern sich in Bern um Law and Order. Ist doch seltsam. Auch die Punks: Gehorchen niemandem, aber von ihren Hunden verlangen sie absoluten Gehorsam.

Das war natürlich eine Beobachtung am Rande des Gurtenfestivals, und alle 81 Prozent der Leser, die sich dafür nicht interessieren, sollen wegschauen: Jetzt kommt meine Gurten-Lieblingsstory. Eines meiner Gspänli hatte ein Blind Date mit einem Zürcher Modi. Er wartete eine halbe Stunde vergeblich und schrieb ihr dann eine SMS: «Vielleicht klappts ein andermal?» Sie: «Wie bitte? Jetzt haben wir doch gerade eine halbe Stunde zusammen geredet?» Da war ein Date-Schwindler am Werk. Schlawiner, diese Berner.

Sarah Pfäffli

Samstag, 16. Juli 2011

Bienne: Ladies Night

In Biel war wieder einmal Ladies Night, nur leider waren knapp kalkulierte 66,6 Prozent der Anwesenden im Lokal, das sich ebendiesen Leitspruch für selbigen Abend auf das Schaufenster geschrieben hatte, Männer. Am Fernsehen lief pas-senderweise die Frauen-Fussball-WM, Viertelfinal.

Weil nicht viele Frauen anwesend waren, mit denen wir sprechen konnten, sprachen der alte Bekannte und ich halt miteinander über sie. Die grossen Heldinnen unserer grossen Geschichten waren unsere geliebten Grossmütter. Meine fragte mich vor ein paar Tagen, wie denn dieses Smilen mit dem Handy genau gehe. Sie meinte Mailen. Ich smilte und drückte sie.

Das Grosi meines alten Bekannten seinerseits klagte, als er es kürzlich zum Friedhof fuhr, über die viele Büez an den vielen Gräbern ihrer vielen verstorbenen Verwandten und Freunde. Wenn sie mal sterbe, lasse sie sich verbrennen, meinte sie. Dann habe sie diesen Chrampf nicht mehr.

Dass nicht nur Grossmütter cool sind, bewies dann eine der wenigen jungen Frauen, die den Weg an die Ladies Night gefunden hatte. Als ihr Begleiter den Cocktail «Sex on the Beach» zum Apéro vorschlug, meinte sie: «Wir haben schon so keinen Sex, dann müssen wir ihn ja auch nicht trinken.»

Fabian Sommer

Samstag, 9. Juli 2011

Burn: Live is Live

Noch ein paar Tage, dann ist Gurtenfestival, olé, olé. Ich bin ja ein Gurten-Kind. Zum ersten Mal war ich mit 14 Jahren da, Nick Cave, Björk, das ist jetzt, huiuiui, 15 Jahre her. (Pssst, aber: Wer auf solche Zeitspannen zurückblicken kann, wird glaubs ein bisschen alt.) Die Musik ist seither erst gefühlt ein wenig schlechter, dann wieder besser geworden. Das Publikum trägt immer noch lustige Hüte und Band-T-Shirts, um zu zeigen: Ich habe sowohl Humor als auch einen erlesenen Musikgeschmack. Relativ neu dagegen ist das Handyproblem. Seitdem die Telefone auch filmen und fotografieren können, stehe ich garantiert immer hinter jemandem, der die ganze Zeit das Handy in die Höhe streckt, um einem abwesenden Gspänli das Konzert durchzutelefonieren. Oder um alles auf Video aufzunehmen. Oder um ständig Fotos zu schiessen. Ich sag euch jetzt mal was: Das ist ein Seich. Erstens verpasst ihr dabei das halbe Konzert, und ich sehe nichts. Zweitens klingt die Musik übers Handy wahnsinnig schlecht. Und drittens schaut man sich diese Fotos und Videos sowieso nie mehr an.

Also, wenns geht: Behaltet die lustigen Hüte, die Band-T-Shirts, sogar das zu schnelle Im-Takt-Mitklatschen ist okay. Aber hört auf mit dem Handyzeug. Ich verspreche dafür auch, nicht mehr falsch mitzusingen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 2. Juli 2011

Bienne: Erste Liga

In Biel war Ruhe. Vor dem Sturm. Vor der Braderie, die dieses Wochenende zum besten des Jahres macht. Braderie, liebe Nichtbieler, das heisst Party, das heisst drei Tage Ausnahmezustand. Jenen, die dieses Fest nicht kennen, sei hiermit dringend empfohlen, noch heute Samstag einen Besuch bei uns zu machen. Von der Bundesstadt aus dauert die Zugfahrt etwa 28 Minuten. Ins Ausland ists gar nicht so weit, wie Ihr immer meint, liebe Berner.

Apropos Ausland: Für uns Bieler beginnt dieses ja im Oberaargau, und damit wären wir bei Kollegin Pfäfflis Kolumne von letzter Woche. Dazu ein kurzer Nachtrag, der irgendwann in jener Zeit spielt, als die Hockeyaner vom EHC Biel noch in der NLB rumgurkten. Das grosse Duell war im Stadion Schoren zu Langenthal. Im Radio gab es eine Sturmwarnung. Die Parkplatzanweiser lotsten die im Auto angereisten Fans dennoch in den Wald. Der Sturm kam, Bäume knickten um. Kurz vor Spielende gab es eine Durchsage, die den Anwesenden immer in Erinnerung bleiben wird: «Folgende Autos sind zerstört …», brummte der Speaker. Dann zählte er ein Dutzend Kontrollschildnummern auf.

Für uns Bieler war das zu viel. An der darauffolgenden Bra- derie beschlossen wir, im nächsten Frühling in die NLA aufzusteigen.

Fabian Sommer

Samstag, 25. Juni 2011

Burn: Ein guter Grund

Es gibt keinen Grund, nach Langenthal zu fahren. Ich weiss es, ich habe drei Jahre dort gearbeitet und war seither glaubs nie mehr dort. Das ist bald sechs Jahre her. Wer nicht in Langenthal aufgewachsen ist – oder in Huttu oder Lotzbu oder Chlydietu –, der kommt gut durchs Leben, ohne je einmal in Langenthal gewesen zu sein. Klar, die Stadt hat ein hübsches Zentrum. Aber davon gibts in der Schweiz genug. Sogar Olten hat ein schönes Zentrum im Fall! Und ja, in Langenthal stehen überall Fabrikantenvillen mit riesigen Gärten. Aber das nützt ja nichts, wenn man nicht drin wohnt. Sogar einen Manor hats in Langenthal. Was aber als touristisches Argument nicht einmal Berner ganz überzeugt.

Trotzdem war ich kürzlich dort. Aus einer Laune heraus. Ich schlenderte durch den gefühlt grössten Coop überhaupt. Ich probierte Schuhe an in Läden, in denen meine Grösse noch nicht ausverkauft war. Und dann bestellte ich wieder einmal den besten Kebab der Welt. Die Kebab-Mannen taten so, als würden sie mich noch kennen nach all den Jahren. Neben meinem Tisch hechteten Fische in einem Bach nach Fladenbrotbrösmeli. Mit der Sonne im Gesicht und zweifelhaften Saucenflecken auf den Kleidern bestieg ich den Zug nach Bern. Ich hatte es vergessen. Es gibt doch einen Grund, nach Langenthal zu fahren.

Sarah Pfäffli

Samstag, 18. Juni 2011

Bienne: Adieu, Kater!

In Biel war die Party eben erst zu Ende und der Himmel schon wieder sehr hell. Beim Aufwachen tat vieles weh, und so entschloss ich mich, einen Ausflug in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum zu machen. Ich wollte Mineralwasser kaufen und viel Aspirin. Und ein Bummel vorbei an Weissbier-Promo-Stand und Degustationsecken kann ja eh nie schaden. Den alten Bekannten, der Vitamintabletten und genoppte Kondome auf die Theke der Apotheke legte, ignorierte ich. Stattdessen bestaunte ich eine Gruppe Amerikaner, die wegen des 100-Kilometer-Laufs angereist waren oder wegen der touristischen Anziehungskraft der Dreiseenregion, wer weiss das schon. Sie studierten Badezusätze. Eine Frau sagte: «Bad aroma! Who the hell wants to buy this?» Meine Kopfschmerzen liessen nach, ich spielte gar kurz mit dem Gedanken, doch noch ein Weissbier wegzudrücken. Dann sah ich einen ungefähr 40-jährigen Mann. Er trug Birkenstöcke und ein beiges Jackett. Auf seinem Arm machte es sich ein etwa 2-jähriges Kind gemütlich. Vor dem Glacestand begann es zu nerven: «Ich will Glace! Ich will! Ich will!» Der Mann sagte: «Ich habe die Glacefrage bereits abschliessend beantwortet, Julian.» Kurz darauf spürte ich es deutlich: Mein Kater war abschliessend verflogen.

Fabian Sommer

Samstag, 11. Juni 2011

Burn: Wuti, J.P. und Köfferli

Bis vor kurzem wohnte ich in der Nähe von J.P. Love, Sie wissen schon, der ältere Typ mit den langen Haaren, der mal ein wenig bekannt war, weil er - er! - in Erotikfilmen mitgespielt haben soll. Jetzt bin ich umgezogen, verreise in die Ferien, und wen sehe ich als erstes am Flughafen? Genau. Am Gate dann ein etwa 50-jähriger Mann, Glatze, hoher Blutdruck, der die Easyjet-Angestellten zusammenscheisst, weil er für sein zweites Handgepäck, eine Tennistasche, zahlen muss. Nennen wir ihn Wuti, den Wutbürger. Auf der Rückreise: Das gleiche Theater. «I want your name», droht Wuti der Frau von der Fluggesellschaft. Und fügt resigniert hinzu: «And nobody speaks German here.» Ja, seltsam, und das in Spanien.

Im Flugzeug sitzen wir neben einer Frau, die ebenfalls für Übergepäck zahlen musste. Sie sagt Sätze wie: «Mis Köfferli het zviu gfrässe.» Vor uns eine Familie, der Papa hat Mèches, die Gofen treiben Unfug, alles normal, wenn eines der Kinder nicht Leeroy heissen würde. Aber so bekommt man Ohrenpfeifen, weil die Mutter das ständig hässig auf Berndeutsch-Englisch ausspricht. Liiiroii! So ist das mit dem Verreisen. Man kann Bern nicht entkommen. Nicht den Wut- und Mitbürgern. Und nicht sich selber. Aber sonst waren die Ferien schön. Weil wir waren im Hinterland der Insel, im Fall.

Sarah Pfäffli

Samstag, 4. Juni 2011

Bienne: Blau-Rot-Grün

In Biel war ein gepflegter Weinanlass, das perfekteste aller Deckmäntelchen für hemmungs- und kostenlosen Alkoholgenuss überhaupt. Es gab strohgelben Arneis aus dem Piemont und einen Schweren, fast Violetten aus Sizilien. Nicht unerwartet kam ich Stunden später sehr blau aus der Verkostung von Weissem und Rotem heraus. Auf dem Nachhauseweg geschah es dann. Vor einer passend zur Degustation auf Rot stehenden Fussgängerampel behauptete eine alte Bekannte, sie kenne einen Zauberknopf, der einen nicht unerheblichen Zeitgewinn bringe. Ich stutzte noch, als sie kurz unter den gelben Schalter an der Ampel griff. Und schwuppdiwupp ward es: grün.

Am nächsten Tag ging ich der Sache nach, mit zur Situation passender, grünlicher Gesichtsfarbe. Ich fand heraus: Die Zauberknöpfe gibt es wirklich. Fussgängerampeln an sogenannten Blindenzirkulationswegen sind mit einem Schnellschalter ausgerüstet, erklärte ein Sprecher des kantonalen Tiefbauamts vor einiger Zeit in dieser Zeitung. Wird der Knopf betätigt, schaltet die Ampel schneller um und bleibt länger grün.

Ich kenne nun also das Geheimnis der Zauberknöpfe. Und auch den praktischen Nutzen für Nichtblinde: Nächstes Mal werde ich drei Minuten vor allen anderen am Weinanlass sein.

Fabian Sommer

Samstag, 28. Mai 2011

Burn: Halbtax

Ein interessantes städtisches Samstagsphänomen nennt sich halbelen. Kurz vor Ladenschluss rennt man noch in den Coop und kauft irgendwelchen absurden Kram zum halben Preis, den der Laden sonst wegschmeissen muss. Dann freut man sich sehr stolz über das Schnäppchen. (Dabei kauft man natürlich lauter Zeug, das man zum Normalpreis nie gekauft hätte, und spart so überhaupt nicht, im Gegenteil. Aber darum gehts ja nicht.)

Ich bin eher ein Zufallshalbeler – mal ein paar Mangoschnitze, wenn mich der rote Halbpreispunkt darauf anschreit, oder ein Salat, der dann schlecht wird im Kühlschrank.

Scheints gibt es aber auch richtige Profihalbeler. Die tummeln sich samstags etwa ab 15.45 Uhr im Riesen-Coop-Center im Stade de Suisse. Gemächlichen Schrittes, aber mit wachem Blick, ziehen sie eine gute Stunde lang ihre Runden um Frischprodukte und Kühlregale, um nie den Moment zu verpassen, wenn ein Ladenmitarbeiter eine gerade heruntergeschriebene Ware zurück ins Regal legt. Die Profihalbeler sind auch gern zu mehreren auf der Lauer. Manchmal reissen sie den Angestellten Spargeln und Bioerdbeeren geradezu aus den Händen. Am besten (oder schlimmsten, ähm), sei das Spektakel vor Feiertagen.

Bald ist Pfingsten. Das werd ich mir ansehen. Und vielleicht halbele ich ja grad ein paar Sushi.

Sarah Pfäffli

Samstag, 21. Mai 2011

Bienne: 100

In Biel war Samstagnachmittag, und die Leute kamen in Scharen aus der Provinz zurück. Der Grand Prix von Bern war eben zu Ende gegangen. Für die meisten Bieler Läufer, und das sagte ein alter Bekannter vor seinem grossen Bier im Brustton der Überzeugung, sei der GP eh nur eine lockere Trainingseinheit. Mitte Juni, da warte die echte Herausforderung, der 100-Kilometer-Lauf von Biel. Der Hunderter, sagte er, sei was für echte Kerle, nicht so 16-Kilometer-Larifari-Zeugs.

Die Zahl 100 wiederum war für mich ein Steilpass. Ich erwähnte, dass ich gerade daran sei, diesen 100. Text der Reihe «Bern Baby Burn – Ici c’est Bienne» zu verfassen. Deshalb dürfe ich vielleicht kurz auf die verdankenswerte Arbeit meiner Kollegin Pfäffli hinweisen: Sie hat alle bisher erschienenen Bern-Biel-Texte auf einem sehr hübschen Blog zusammengestellt: bernbiel.blogspot.com.

Das sei ihm doch egal, meinte der alte Bekannte nur. Ich solle erst mal so hart arbeiten wie der legendäre Seeländer Ultralangstreckenläufer Aribert Hannappel, dann würde er wieder mit mir über Zahlen reden. Hannappel, der übrigens auch gut töpfert, absolvierte den Hunderter sagenhafte 37-mal in Serie, und zweimal sogar doppelt. Er kam ins Ziel – und lief die 100 Kilometer gleich noch einmal, ohne Pause.

Fabian Sommer

Samstag, 14. Mai 2011

Bern: Keuchen und kotzen

Dieses Jahr brauchte es etwa ein halbes Dutzend Begegnungen mit rotgesichtigen, ebenso fest keuchenden wie entschlossenen Hobbyläufern, bis ich realisierte: aha, bald Grand Prix. Das ist, wenn ein paar Tausend Leute ihre Knie ruinieren und sich auskotzen und danach sagen, es sei einfach ein super Gefühl. Jeden Frühling das Gleiche in Bern – plötzlich sind alle am Secklen, und niemand hat mehr Zeit für gesunde Feierabendaktivitäten, weil alle noch den Aargauerstalden üben oder sich im Fachgeschäft Joggingzeug wie Anschnallvorrichtungen für den iPod kaufen müssen.

Doch trotz gewisser Vorbehalte verfolgte ich dieses Jahr die Vorbereitung eines meiner Gspänli auf den Grand Prix mit einer Mischung aus Bewunderung und schlechtem Gewissen. Weil so ein bisschen mehr Sport wäre ja schon gut. Und die schönsten 10 Meilen der Welt. Und Ziele erreichen. Und Runner’s High. Und Bliblablu.

Dann aber hörte ich vom Vorsatz eines anderen Gspänli: Er wolle als einziger Berner in die Geschichte eingehen, der zu Lebzeiten weder an einem Konzert von Patent Ochsner und Züri West gewesen ist noch am Grand Prix teilgenommen hat.

Die ersten beiden hab ich schon verpatzt. Aber Letzteres sollte auch für mich noch möglich sein. Man kann im Fall alles schaffen, wenn man nur will.

Sarah Pfäffli

Samstag, 7. Mai 2011

Bienne: Auf dem See

In Biel war seit ungefähr einhundert Tagen Sommer. Die meisten Grillroste in der Gegend waren mit Fleischresten beklebt, auf den Trottoirs lagen gelbe Blütenstaubansammlungen. Und alle Leute hatten weisse Sonnenbrillenabdrücke auf den Gesichtern. Von weitem sahen sie aus wie Ausserirdische.

Wunderbar, dieser Sommer im April, summte ein alter Bekannter, den ich auf dem Markt in der Altstadt antraf. Er kaufte gerade Geisskäse aus dem Jura, als es tatsächlich wieder einmal zu regnen begann. Also lud ich ihn auf einen Frühschoppen ein. Wir tranken ein Frappé mit Schuss und tauschten Themen aus den letzten einhundert Tagen aus. Das heldenhafte Cup-Aus unseres Fussballclubs. Der Sonnenbrand auf den Schienbeinen. Die menschenunwürdige Regelung, wonach Getränke ab 0.30 Uhr nicht mehr auf Restaurantterrassen serviert werden dürfen.

Die beste Geschichte aber habe er kürzlich beim Fischen auf dem See erlebt, sagte der Bekannte. Auf einem Pedalo vis-à-vis seines Bootes seien vier Männer gesessen: zwei kleine Jungen vorne an den Pedalen. Hinten raus, mit den Füssen im Wasser, ihre Väter. Mit Bier.

«Ihr habt eure Jungs aber gut erzogen», habe er zu ihnen gesagt, erzählte der Bekannte. «Irgendwann», habe der eine Vater dann geantwortet, «muss sich das Kindermachen ja mal lohnen.»

Fabian Sommer

Samstag, 30. April 2011

Bern: Mein Frühling

Was ich nicht mag am Frühling:

– Das öffentliche Genöle der Pollenallergiker.

– Die Steuererklärung.

– Jahreszeiten-Avantgardisten, die im April so unangezogen rumlaufen, dass sie im Sommer nichts mehr auszuziehen haben.

– Outdoor-Besäufnisse.

– Artikel, in denen sich Journalistinnen enervieren, dass die Leute ihre Füsse nicht pflegen.

– Schilder bei Bäckereien und Restaurants: «Erdbeersaison» (gemeint ist «In den spanischen Treibhäusern ist jetzt Erdbeersaison»).

– Das grelle Licht.

– Den säuerlich-scharfen Schweissgeruch im Tram ab 20 Grad Celsius (Deo, kennsch?)

– Dass man immer zu warm (tagsüber) oder zu kalt (morgens und nachts) angezogen ist.

– Den verfrühten Grillierzwang.

– Dass YB wie immer ganz unglücklich den Cupsieg/das Weiterkommen im Cup/den Meistertitel/den Anschluss an die Tabellenspitze et cetera verpasst.

Der Rest aber: grossartig, im Fall.

Sarah Pfäffli

Samstag, 23. April 2011

Bienne: Kabarett im Park

In Biel war wieder mal die alte Multikultileier im Gang. Ein paar Freunde aus entfernteren Gegenden unseres schönen Kantons wollten bei ihrem Besuch bei einem alten Bekannten und mir wissen, wie das so sei, mit 28,1 Prozent Ausländern und so.

Wir können nicht klagen, sagten der alte Bekannte und ich unisono. Immerhin haben wir Freunde und Imbissbuden aus allen Regionen der Erde hier.

Das Beste an dieser Bieler Multikultisache sind aber die kleinen kabarettistischen Einlagen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund auf den Strassen bieten. In Biel-Mett sei er kürzlich an einem Schulhaus vorbeigekommen, erzählte der alte Bekannte. Zwischen zwei Teenagern habe er dort folgenden Dialog belauscht: «Mann, wir gehen nächste Woche ins Skilager, Mann.» – «Echt, Mann?» – «Aber weisst du was? Es hat keinen Schnee, Mann.» Dann grosses Gelächter.

Auch gut war die Szenerie im (wunderschönen, liebe Berner) Elfenaupark von vor ein paar Tagen. Zwei herzige Gangster sassen dort im (und rauchten) Gras.

«Wo sind die anderen Homeboys? Ruf doch mal an.» – «Nein, Mann. Habe kein Geld mehr auf dem Handy.» – «Dann schreib doch eine SMS.» – «Das ist auch zu teuer, Mann.» – «Dann schreib halt nur ganz kurz: Komm Elfenaupark.» – «De haut, Mann.»

Fabian Sommer

Samstag, 16. April 2011

Bern: Das elfte Gebot

Gerade in diesen Tagen, vor dem Zügeltermin, wird vielen Menschen wieder mal das elfte Gebot bewusst: Du sollst nicht Kram ansammeln. Ich habe das Problem gelöst, indem ich am Sonntag schachtelweise Zeug aufs Mäuerchen an der Quartierstrasse gestellt und als «gratis» beschriftet habe – am Abend war alles weg. Selbst der grösste Schrott. Der Mensch ist ein Aasgeier.

Nun habe ich mir vorgenommen, nur noch immaterielle Dinge zu sammeln. Meine neue Leidenschaft: Ich sammle Verhörer. Ist im Fall kein Verschreiber: Verhörer. Weil es immer wieder eine grosse Freude ist, wenn jemand etwas ganz falsch versteht.

Den jüngsten Zugang nahm ich kürzlich im schönen Restaurant Volver beim Rathaus auf. Die Kellnerin kam an unseren Tisch und fragte, ob jemand von uns «ä Süessmoscht» bestellt habe. Mein Gspänli: «Was? Gmüestoast?» Ich weiss noch nicht, ob der es in meine Top-3 schafft. Die sind schon hübsch besetzt, etwa so:

A: Ich bin mit Jürg Halter zur Schule gegangen.

B: Was? Mit Jörg Haider?

Aber mein Liebling ist die Szene von vor dem Spiel YB – Fenerbahçe Istanbul, als jemand vor dem Stadion sagte: A: «Viellech isch ja d Miss Türkei da.» B: «Dr Mister Gay?» Super Verhörer. Und braucht null Platz im Zügelauto.

Sarah Pfäffli

Samstag, 9. April 2011

Bienne: Vorzüge einer Stadt

In Biel war Sonntag und Sonnenschein und ein bisschen Zeit zum Zeitungslesen vorhanden. Aus meinem Leibblatt vernahm ich, dass die Wohnungssuche in Bern ätzend ist. Die Frau Kollegin aus der Bundesstadt möchte deshalb nach Biel kommen, wenn sie dereinst wieder einen Umzug in Betracht ziehen sollte.

Das, verehrte Kollegin, ist eine fabelhafte Idee. Und gibt mir die Gelegenheit, endlich wieder einmal ein bisschen Stadtmarketing zu betreiben.

Erstens schmeissen sie dir die Wohnungen à Bienne wirklich nach. Es gibt Siebenzimmervillen mit Seeblick für 3000 Stutz. Es gibt Viereinhalbzimmerwohnungen in schönen alten Blöcken für 700 und durchgestylte Dreizimmerappartements im Stadtzentrum für 1200 Franken.

Viel wichtiger als die finanzielle Komponente aber sind die kleinen, entscheidenden Unterschiede zwischen Bern und Biel, Frau Kollegin.

In Biel kann man in einem See baden! In Biel kann man Fussball auf echtem Rasen sehen! In Biel kann man als Sportfan auch im April noch an einen Titel denken! In Biel lernt man Französisch von selbst, weil man es jeden Tag hört!

Und in Biel kann man von September bis März ohne schlechtes Gewissen depressiv tun, weils immer neblig ist. Davon kann man in Bern nur träumen!

Fabian Sommer

Samstag, 2. April 2011

Bern: Wer sucht, der sucht

Allen, die mit dem Gedanken spielen, in Bern eine Wohnung zu suchen, möchte ich herzlich abraten. Denn die Wohnungssuche ist hier eine emotionale Berg-und-Tal-Fahrt, zeitraubend, mit ungewissem Ausgang und beachtlichem Konfliktpotenzial.

Also natürlich gibts die Glückspilze, die sich bei der zweiten Besichtigung in eine Wohnung verlieben und die auch gleich kriegen. Aber dazu gehört man ja meistens nicht. Vielmehr sollte man sich auf Zürcher Verhältnisse gefasst machen: Menschenschlangen vor Wohnungen, die auf dem Internet ohne Foto als «Traumwohnung mit riesiger Dachterrasse» angepriesen werden (und sich als Kabäuschen herausstellen). Mieter, die die Auswahl des Nachmieters davon abhängig machen, wer am meisten ihres Krempels zu Fantasiepreisen übernimmt. Schleimende Konkurrenz, die vor nichts zurückschreckt. Verwaltungen, die nicht einmal Bewerbungen beantworten.

Es ist ganz grässlich. Und zum Glück für uns jetzt vorbei, weil wir endlich ein I-a-Zuhause gefunden haben. Aber ich schreibe dies hier alles auf für den Fall, dass ich irgendwann wieder an einen Umzug denken sollte. Notiz an selbst: Zieh nach Biel! Dort macht zwar ständig irgendwo einer einen Witz, und sie sind wahnsinnig lokalchauvinistisch.

Dafür schmeissen sie dir scheints die Wohnungen nach.

Sarah Pfäffli

Samstag, 26. März 2011

Bienne: Bieler Frühling

In Biel war Frühling. Stadtgärtner mit starken Händen setzten in Kreiseln und an Strassenrändern Blumen und Grünzeugs. Die örtlichen Hockeyfans diskutierten über die Fussballnati und andere Randsportler, da ihre Saison früh zu Ende gegangen war wie seit Jahren nicht mehr. Junge und jung gebliebene Damen nahmen kurze Röcke und/oder riesige Sonnenbrillen aus den Schränken und stolzierten durch die Strassen. Und die üblicherweise sehr grimmigen Alkis vor dem Bahnhof waren gut gelaunt wie selten.

Alles passte grad bestens, die Stadt roch förmlich nach Optimismus. Mit einem alten Bekannten besorgte ich deshalb umgehend Grillfleisch und Dosenbier.

Das war eine gute Entscheidung, denn beim Grossverteiler durften wir Zeuge eines weiteren bemerkenswerten Ereignisses dieses noch jungen Bieler Frühlings werden.

Eine ältere Frau mit unschwer erkennbarem Migrationshintergrund irrte orientierungslos durch die Gänge. Plötzlich nahm sie ein gefrorenes Poulet aus der Kühltheke und sprach eine Verkäuferin an. «Das da Mutter. Wo Kinder?»

Die Verkäuferin stutze nur kurz. Dann deutete sie auf das Regal mit den Eiern. Die Frau lächelte zufrieden.

Fabian Sommer

Samstag, 19. März 2011

Bern: Super Sorgen

Mich ärgert jeden Tag ganz vieles: Die alte Frau an der Greyerzstrasse, die uns durch die Gegensprechanlage verkündet, die Wohnung sei jetzt eben schon vergeben; dabei waren wir doch die Ersten, die um einen Besichtigungstermin angefragt hatten. Die beleidigend banalen Songs einer Bieler Popband am Radio. Das schockgefrorene Lächeln der Berner TV-Moderatorin. Das Ziehen in meiner verspannten Schulter. Die Nachbarin, die jeden Morgen das Treppenhaus herunterdonnert. – Solcher Art sind meine Sorgen.

Und nun habe ich ein schrecklich gutes Buch gelesen, es heisst «Das Recht auf Rückkehr» und handelt von einem Professor, der gerade in der Abendsonne vor seinem schönen Haus telefoniert, als er realisiert, dass sein Kind verschwunden ist. Die schlimmste Stelle des Buches ist die, in der der Mann begreift, dass alles, was in seinem Leben bislang von vermeintlicher Bedeutung war, auf der Stelle nichtig ist.

An dieses Gefühl muss ich wieder denken, wenn ich die Bilder aus Japan sehe.

Und so freue ich mich dieser Tage aufrichtig darüber, dass es mir vergönnt ist, mich über doofe Popsongs, die anstrengende Wohnungssuche oder laute Nachbarn aufzuregen. Ich liebe meine kleinstädtischen Probleme wirklich sehr.

Sarah Pfäffli

Samstag, 12. März 2011

Bienne: Im Herzen

In Biel war fast Ausnahmezustand, seit einer Woche. Die höchstens halbprofessionellen Kicker unseres FCB hatten am letzten Donnerstag den millionenschweren FC Basel aus dem Schweizer Cup gekickt. Es war, und dafür gibt es keine anderen Worte: geil, geil, geil.

Der alte Bekannte, den ich traf, war noch im Delirium. Er wolle eine Motion im Stadtrat anregen, sagte er. Das 99-jährige Stadion Gurzelen solle zum Denkmal erklärt werden, darin goldene Statuen der Helden vom 3.3.2011.

Der Bekannte erzählte auch von der Berichterstattung im Vorfeld der Partie. Die Onlineausgabe der grössten Schweizer Zeitung hatte 20 Stunden vor dem Anpfiff von Biel - Basel und nach der Halbfinal-Auslosung getitelt: «Basel muss zu Sion.»

Noch besser war das Staatsfernsehen. Als YB und Thun am Mittwoch ihre Cupspiele verloren hatten, sagte Moderator Matthias Hüppi zu Experte Hanspeter Latour: «Bitter, bitter, alle Berner Mannschaften sind jetzt ausgeschieden.»

Wunderschön, wie die Genugtuung anhält, sagte ich zum Bekannten. Die Genugtuung darüber, wie gnadenlos wir Biennois die arroganten Restschweizer abgestraft hatten. Dafür braucht es keine Denkmäler, so was bleibt in den Herzen.

Fabian Sommer

Samstag, 5. März 2011

Bern: Schau mal!

Manchmal begegnet man Menschen, denen man nicht begegnen möchte. So ist das halt. Aber ist es nicht ein wenig doof, wie viele Leute damit umgehen? Mit Weggucken und verkrampft So-tun-als-ob-ich-sie-nicht-gesehen-hätte? Dabei merkt doch jeder genau, ob so ein Nicht-gesehen-Werden gespielt ist oder echt. Es ist lächerlich.

Grad zweimal ist mir das jetzt mit dem Ex-Freund einer Freundin passiert. Einmal in einer Bar, er musste mich gesehen haben, und obwohl ich keinen Wert drauf legte, sagte ich beim Rausgehen: Hallo, Dings. Er tat totaaal überrascht, aaahh, tschou Sarah! I ha di gar nid gseh! Bla. Nun hätte er sich das peinliche Theater sparen können, wenn er mir vorher einmal kurz zugenickt hätte.

Das nächste Mal am Bahnhof, da stand er und wartete auf jemanden, ich ging zwangsläufig auf ihn zu, er drehte sich ungeschickt um und wartete in eine andere Richtung. Extrem unsouverän. Ich passierte ihn schmunzelnd: Typisch semiurbane Selbstüberschätzung, zu glauben, jeder wolle mit einem reden.

Schon klar, die Leute haben Angst davor, Müntschi geben und blöd smalltalken zu müssen – aber die hab ich ja auch! Deshalb plädiere ich bei allen entfernten Bekannten für ein entspanntes Hey, verbunden mit einem Kopfnicken aus der Ferne. Mängisch isch weniger gnue.

Sarah Pfäffli

Samstag, 26. Februar 2011

Bienne: Auf der Puce

In Biel war Flohmarkt in der Coupole. Dabei handelt es sich um das Autonome Jugendzentrum Gaskessel, liebe Nichtbieler.

Der Chessu-Flohmi, wie wir ihn nennen, ist ein ausserordentlich schöner Anlass. Diesmal erspähte ich in einer Schachtel vor dem Stand einer vietnamesischen Händlerin gute Filme. Auf der Schachtel war ein Schild angebracht: «DVDs: 3.–» Ich hielt der Frau Stanley Kubricks «Clockwork Orange» und 3 Franken hin. Sie sagte: «Dieser Film anders, dieser 5 Franken.» Ich zahlte, der Film ist ja in der Tat anders.

Ich traf dann einen alten Bekannten, und wir fragten uns, ob in der Coupole wohl Verwandte der geschäftstüchtigen Vietnamesin agiert hatten. Immerhin glänzte vier Stunden nach der samstagnächtlichen Party alles wieder. Tchai-Tee und Crêpes würden über jene Theke gereicht, auf der sich kurz vorher noch ausgeschüttete Drinks, Bierflaschenscherben und Kotze vermischt hatten.

Nett ging es nebenan zu. Ein offensichtlich bekiffter Mann feilschte mit einem Händler um den Preis für einen Porzellanteller. «Was willst du für den Teller?», fragte er. «Fünf Stutz.» – «Warum so viel für diesen Scheissteller?» – «Der ist handbemalt, mein Freund.» – «Ja und, Mann? Gibts auch fussbemalte?»

Fabian Sommer

Samstag, 19. Februar 2011

Bern: Im Tümpel

Dass Bern eine Kleinstadt ist, sieht man zum Beispiel daran, dass es hier kein Hallenbad mit 50-Meter-Becken gibt. Dabei wäre Schwimmen ein 1-a-Wintersport, weil sensationell langweilig und daher tipptopp zum Nachdenken. Schwimm, schwimm, denk, denk. Aber in den Berner 25-Meter-Tümpeln ist das Baden kein Vergnügen. Ständig muss man überholen (plappernde Freundinnen, die nebeneinander schwadern) oder wird selbst überholt (von um sich spritzenden, mit Schwimmbrillen, Speedo-Badehosen und Plastikhauben ausgerüsteten Muskelfischen) und kommt sich dann ein wenig plump und mittelmässig vor. Bahn 1 und 2 sind sowieso geschlossen, weil Sportstudenten Turmspringen üben oder übermotivierte Lehrer ihre

trägen Schulklassen herumscheuchen.

So zieht man seine Bahnen halt in der Parfümfahne von älteren Damen und muss dabei dem eitlen Geck in den engen Badhösli neben dem Becken bei seinen Sit-ups zuschauen – man hat ja keine Ausweichmöglichkeit. Auch nicht beim Duschen, da stand ich kürzlich zwischen einer sagenhaft dicken und einer schrecklich mageren Frau. Und dachte mir: Selten im Leben ist es so schön, absolut mittelmässig zu sein.

Sarah Pfäffli

Samstag, 12. Februar 2011

Bienne: Das Vorbild

In Biel war Februar und die Stadt eine einzige nebelfreie Zone. Das will etwas heissen, liebe Nichtbielerinnen und Nichtbieler.

Die Einheimischen flanierten also hemmungs- und fast textillos durch die Gegend, fütterten am See Enten, tranken gekühlte Getränke und liebten das Leben. Ich gesellte mich dazu und spielte mit meinem Göttikind Szenen aus dem Kinofilm «Yogi Bear» nach. Insidern sei gesagt, dass ich Yogi sein durfte und das Kind Bubu.

Ich fühlte mich gut und dachte ganz kurz, yes, ich bin ja ein gutes Vorbild für das Kind. Alles war perfekt und sogar der Sonnenuntergang noch weit weg, als wir einen alten Bekannten trafen. Er lud uns zu einer FC-Biel-Wurst in seinem Garten ein.

Und auf dem Weg dahin ging es dann noch einmal um gute Vorbilder. An einer viel befahrenen Strasse stand die Fussgängerampel auf Rot. Wir drückten auf den Knopf und warteten. Neben uns stand ein älterer Herr, der offensichtlich mit seinem Enkel unterwegs war.

Es war immer noch Rot, als eine junge Frau eiligen Schrittes die Strasse überquerte. Der ältere Herr geriet ausser sich und brüllte ihr hinterher: «Was bist du nur für ein Vorbild für die Kinder? Wenn ich dich noch einmal sehe, schlage ich dir den Kopf ein!»

Fabian Sommer

Samstag, 5. Februar 2011

Bern: The best is Schweigen

Aus beruflichen und Faulheitsgründen bin ich öfters dazu gezwungen, mit dem Taxi zu fahren. Das macht eigentlich nichts, weil das Taxi das eleganteste Fortbewegungsmittel für die Stadt ist, gleich nach dem gepflegten Chörblivelo (für die Dame) oder dem schlichten Mountainbike (für den Herrn). Aber irgendwie erwische ich stets die falschen Taxis. Jedenfalls habe ich nie so tolle Taxigespräche wie offenbar die meisten Leute. Ein Gspänli von mir hat zum Beispiel mal von einem Taxifahrer gehört, er habe Samih Sawiris zum «besten Kebab von Bern» fahren müssen (Und den gibts in 3007, ha!).

Meine Taxifahrer hingegen jammern mir meistens was vor: Die Stadt räumt den Schnee nicht weg, die Geschäfte laufen lausig. Das will ich nicht hören! Ich will, wenn es keine super Anekdoten sind, gar nichts hören; schon gar nicht, wenn dazu das Taxometer rattert. Das Gleiche gilt beim Coiffeur und in der Massage. Ich bin nicht zum Plaudern da! Sonst wäre ich zum Therapeuten gegangen.

Deshalb sind mir neu jene Taxifahrer am liebsten, die kaum Deutsch sprechen. Die lassen einen in Ruhe. Nie mehr fahren möchte ich mit jenem Täxeler, der uns mit den Worten begrüsste, er sei heute der einzige Schweizer Taxifahrer unterwegs, wir hätten Glück gehabt.

Geht so, dachte ich, und: Bald ist wieder Velosaison.

Sarah Pfäffli

Samstag, 29. Januar 2011

Bienne: Die Sitzung

In Biel war die Nachrichtenlage eindeutig flauer als auch schon in den letzten Monaten. Kein Krimi weit und breit. Dominierende Themen der lokalen Medien waren der Spielnachmittag im Altersheim Neuenstadt sowie der Schutz bedrohter Amphibien in der Region Erlach–Gals.

Nach der Zeitungslektüre hatte ich das dringende Bedürfnis, mich an köstlichen Würstchen gütlich zu tun. Also fuhr ich in ein grosses Einkaufszentrum und stellte mich an den grossen Degustationsstand eines grossen Fleischerzeugnisherstellers. Und siehe da, ich traf einen alten Bekannten. Einen, der auch Journalist geworden ist.

Wir schwelgten ein bisschen in Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit in der Lokalberichterstattung. Auch bei uns ging es oft um Spielnachmittage und bedrohte Kröten. Und natürlich um Sitzungen verschiedener Ortsparlamente. An einem Jahresabschlussessen eines solchen Parlamentes passierte es dann: Der Bekannte kam etwas zu spät und merkte, dass es noch genau einen freien Platz gab, jenen am Tisch der Evangelischen Volkspartei. Hier könne er nicht sitzen, sagte der Bekannte dann sehr laut. Er bete nicht vor dem Essen.

Ein paar Tage später wechselte er den Job. Er macht jetzt ein äusserst erfolgreiches Kinderprogramm beim Fernsehen.

Fabian Sommer

Samstag, 22. Januar 2011

Bern: Der Nabel der Welt

Ich habe ein neues Hobby, es heisst Wohnungssuche. Mehrmals am Tag klappere ich alle Immobilien-Websites ab, und zum ersten Mal schaue ich den «Anzeiger» an, bevor ich ihn wegschmeisse. In den letzten Wochen habe ich viel fürs Leben gelernt. Vor allem, dass alles Gute einen Preis oder einen Haken hat. Das Bijou an der Kasernenstrasse hat keinen Balkon, die Wohnung an der Elisabethenstrasse Laminat, und 2000 Franken für 65 Quadratmeter ist zu viel, sogar an der Breitenrainstrasse.

Ja genau, Breitenrain! Moi! Der 3007er-Fan seit acht Jahren, die Breitsch-für-überbewertet-Halterin, bricht mit einem ihrer wenigen Prinzipien.

Das hätte ich besser nicht getan. Denn wie ich gemerkt habe, beschränkt sich jener Teil des Breitenrains, der wirklich hübsch ist, auf wenige Strassen, und dort wird offenbar nie gezügelt. Und so ist mein neues Hobby eher frustrierend. Neulich träumte mir, ich hätte auf dem Bauch in gotischen Lettern «Breitenrain Parkstrasse» tätowiert.

Es war ein Zeichen, und das deutete ich so: Der Nabel der Welt liegt weiter südlich. Am nächsten Tag schickte ich die Bewerbung für die perfekte Wohnung in der Sulgenau ab. 3007, Baby.

Sarah Pfäffli

Samstag, 15. Januar 2011

Bienne: Die Liste

In Biel war fast schon Fasnacht, und die Einheimischen hatten nicht nur deshalb nichts zu lachen. Regen fiel vom Himmel und traf sich in Tümpeln auf der Strasse zum Tête-à-tête mit liegen gebliebenem Schneematsch. Manche Menschen trugen Tücher vor dem Gesicht. Sie sahen aus wie Terroristen, dabei froren sie nur. Es war zum Davonlaufen.

An einem Verkaufsstand gab es drei Dinge zu kaufen: Tee Rum, Tee Rum spezial und Glühwein. Eine vorzügliche Auswahl in diesen Tagen, sagte der alte Bekannte, den ich an solchen Ständen immer treffe.

Wir erstellten dann eine Liste mit Dingen, auf die wir uns 2011 freuen. Zum Beispiel werden wir an unseren geheimen Badeplätzchen in den See springen und denken, zum Glück pennt das Tourismusbüro, und wir haben diese Plätzchen nur für uns. Wir werden jubeln, weil der FC Biel den FC Basel aus dem Cup schmeissen wird. Wir werden im Frühling ein- bis zweimal am Samstagmorgen vor 10 Uhr aufstehen und mit kleinen Augen über den Flohmarkt bummeln. Wir werden mit schönen Seeländerinnen Liebe machen, wenn es draussen blitzt und donnert oder die Nebelschwaden unsere Stadt zärtlich umarmen.

Wir werden es bald wieder lieben, hier zu leben, so viel stand für uns jetzt fest.

Fabian Sommer

Samstag, 8. Januar 2011

Bern: Silvester, mein Bester

Wer König werden will, der muss einfach den ganzen Kuchen essen. Ich habe jetzt die Krone, dafür Bauchweh. Aber einmal im Jahr darf man das.

Schön ist es mit den einzigen Tagen im Jahr! Je seltener etwas ist, desto höher schätzt man es – lernt jede 14-Jährige in der «Bravo». Gilt auch für Weihnachten. Dieses Jahr spielte ich viel Scrabble, ich bereite mich auf den Lebensabend im Lorraine-Bad vor.

Oder Silvester. Fand ich früher doof. Weil ich meinte, dies müsste die beste Party des Lebens sein, und logo war sie das nie. Allerdings ist zu Hause bleiben und zu zweit gemütlich mit einem Proseccöli anzustossen auch keine Alternative.

Deshalb habe ich irgendwann entschieden, Silvester so zu behandeln, als wäre er ein normaler Samstagabend und nichts Besonderes (in der «Bravo» lernt man fürs Leben) – und er wurde wieder sehr nett. Wir feierten in einer Schmiede, in der jüngere und engagiertere Leute als wir ein Fest organisiert hatten. Dann setzten wir uns im Röckli auf die gefrorenen Velosättel und fuhren in die Vidmarhallen, wo glaubs tollkühne Schauspieler ein Fest organisiert hatten.

Alles war selten und schön. Bis auf die tote Katze am Morgen auf der Strasse, die ich aber nicht als schlechtes Omen deute. Ostern wird sicher super.

Sarah Pfäffli