Samstag, 27. August 2011

Bienne: Linke Füsse

In Biel war fast Mitternacht, und das Thermometer auf dem Zentralplatz zeigte noch 33 Grad an. Vielleicht lag das daran, dass wir als weltweit wichtigste Metropole der Uhrmacherkunst eine japanische Digitaluhr mit Digitalthermometer auf den wichtigsten Platz der Stadt gestellt haben und die einfach nicht funktioniert. Womöglich war es aber auch einfach wirklich scheisse heiss.

Jedenfalls traf ich just unter der Uhr einen alten Bekannten. Einen, der viel zu erzählen hatte. Also erstens, sagte er, habe er gelernt, dass es bei echter Hitze nichts bringt im Bielersee zu baden. Da nütze, und das sage er als Bieler gerade gegenüber Bernern ungern, nur die Aare. Ich pflichtete bei, wenn auch schweren Herzens.

Dann kam der Bekannte auf einen Mann mit zwei offensichtlich linken Füssen zu sprechen, der kürzlich vor dem Volkshaus mit seinem Rollator mitten in einen Restauranttisch gefahren ist und daraufhin von Gästen und Personal versorgt werden musste.

Und als wäre das nicht genug, begann der Bekannte plötzlich über das «Schuh-Paradies» zu wettern. Ein Botty für die ganz Armen sei das, fluchte er. In einen dieser Schuhläden sei kürzlich ebenfalls ein Mann mit zwei linken Füssen gekommen, flüsterte er dann verschwörerisch. Er habe nach Flip-Flips gefragt.

Fabian Sommer

Samstag, 20. August 2011

Burn: Im Steuerparadies

Dann wurde es plötzlich doch noch Sommer, und wir lagen im Dunkeln auf dem warmen Asphalt. Wir stellten uns vor, die Militäranlage wäre ein Palast und die Kasernenwiese der Schlosspark, und starrten zum Himmel. Alle paar Minuten sah wieder jemand eine Sternschnuppe, nur ich nicht; unsere Haare rochen nach Rauch und Grill, wir hatten die Bäuche voll Bratwurst und Bier und sprachen über die üblichen Dinge: Massaker und Überfälle. Steuern, Progression und Abzüge. Sehr erwachsen und sehr unromantisch für diese romantische Nacht.

Ich hielt sogar ein flammendes Plädoyer fürs Steuerzahlen, erzählte von dessen fundamentaler Bedeutung für ein Staatswesen, nicht nur in finanzieller Hinsicht, zitierte Studien über Steuerexperimente in afrikanischen Dörfern, lobte unser Land, die Stabilität, die Sicherheit, die Sauberkeit, gar die hundekotfreie Wiese; ferner die Liberalität und dass man auf offener Strasse Alkohol trinken dürfe, obwohl das nun ja wohl gar nichts mit den Steuern zu tun hat.

Und ich schloss mit dem denkwürdigen Satz: «Ich zahle gern Steuern.» Am nächsten Tag hatte ich Kopfschmerzen, aua, und holte die Post aus dem Briefkasten. Darunter ein Brief von der Steuerverwaltung. Die zweite Ratenrechnung. Aua, aua, aua.

Sarah Pfäffli

Samstag, 13. August 2011

Bienne: Der Bettler

In Biel war fini Ferien. Für mich war das knüppelhart. Die Ernährung, die ich – USA sei Dank – zwei Wochen lang geniessen durfte, war per sofort umzustellen. Also Goodbye, du gesegneter Super-Duper-Double-Burger mit Bacon und Cheese und extra Jalapeños. Goodbye, du alles übertreffendes Pancake mit Erdbeeren und Ahornsirup. Goodbye, du formvollendetes Buffalo-Chicken-Wing. Ich träumte noch von fettigen Knoblauchpommes mit Cocktailsauce, als ich merkte, dass sich erstmals in der Heimat wieder Hunger meldete. Ein gutbielerischer Kebab mit Scharf schien mir das angemessene Gegenmittel. Ein Kebab, dachte ich, wird helfen, behutsam von Burgern und Co. runterzukommen. Der Kebabladen wurde zu einer Art Methadonabgabestelle für Amifoodabhängige. Und tatsächlich, ich entspannte mich. Nicht unbedingt, weil das pampige Fleischbrot gut schmeckte, sondern des unmittelbar folgenden Erlebnisses wegen. Der Kebab dampfte noch, als ich auf die Strasse trat und tout à coup ein Junkie mit Hund vor mir stand. Er wollte ein bisschen Münz. Ich kramte in der Hosentasche, der Hund schaute treuherzig auf mein Essen. Dann sagte der Junkie zu ihm: «Niiicht betteln! Du bekommst nichts! Niiicht betteln!»

Fabian Sommer

Samstag, 6. August 2011

Burn: Aare Ahoi!

Aareböötlen ist eine genuin bernerische Tätigkeit. Man sieht die Kleinstadtmatrosen an heissen Wochenenden im Bahnhof, sie warten am Treffpunkt, in Flipflops und mit blauen Ikea-Taschen, dem perfekten Transportmittel für Gummiboote. Profis haben Fässer dabei oder wasserdichte Säcke, damit das Grillgut trocken bleibt. Ich hatte mir einen Anker auf den Unterarm gemalt, immerhin. Im Thuner Schwäbis wird aufgepumpt, mit dem Kompressor kostets 4 Franken, die Freizeit-People reissen sich fast die Schläuche aus der Hand.

Schliesslich, endlich, treiben wir auf dem Wasser. So kalt, dass man nur reingeht, wenn man dringend muss. Kurz bevor es brenzlig wird, wechseln wir Steuermann – ein erfahrener Kapitän entert unsere wackelige Barke, ich verziehe mich kleinlaut auf ein stabileres Boot. Nichts gegen die MS Interdiscount, aber die Uttigen-Schwelle könnte ihren Untergang bedeuten, denke ich still bei mir, und dann erst das Widerwasser! Aber es geht alles gut, unsere furchtlose Flottille rudert unversehrt in stillere Wasser über. Jetzt ist es Zeit für ein Bier. Die Bäume am Rand schimmern silbrig, von weit her rauscht die Autobahn, ab und zu reiten wir über wilde Wellen.

Nur ein Stück billiges Plastik, die Natur – und wir. Und etwa hundert andere.

Sarah Pfäffli