Samstag, 24. September 2011

Bienne: Promo pour Bienne

In Biel legte Madame Herbst ihren grauen Schleier über die Innenstadt. Das war einerseits einigermassen deprimierend, andererseits Gelegenheit, wieder einmal so wunderbare warme alkoholische Getränke wie Kafi Lutz oder Tee Rum zu konsumieren. Und auch Gelegenheit, innezuhalten und zurückzublicken. Auf rund dreissig Tage Biel-Bashing in den Medien, von «20 Minuten» bis «Tages-Anzeiger».

Ein alter Bekannter nahm sich die Mühe und legte eine kleine, aber furchteinflössende Auswahl aufs bereits vom Rum verklebte Bistrotischchen. Wir lasen. 22. August: «Explosionen und brennende Autos: Biel unter Schock». 26. August: «Biel – kleine Stadt mit heftigen Eruptionen». 31. August: «Jedes fünfte Kind in der Stadt Biel ist auf Sozialhilfe angewiesen». 6. September: «Reportage aus Biel: Eine Uhrenstadt kämpft gegen die Armut».

Wir schwiegen einen Moment. Das Schöne an diesen Geschichten sei ja, brummte der Bekannte dann, dass sich so ganz bestimmt kein Schwein mehr nach Biel traue und wir so die geilste Stadt der Welt, wie er sagte, für uns ganz alleine haben. Das sei mal echte Promo pour Bienne. Ich schlug eine Zeitung auf. Die aktuelle Schlagzeile über unsere Heimat verschwieg ich dem Bekannten dann, aus Rücksicht. Im «Blick» stand in fetten Lettern: «Biel – so stark wie nie!»

Fabian Sommer

Samstag, 17. September 2011

Burn: Die guten Alten

Wenn mich auf der Kornhausbrücke jemand auf dem Velo in einem Affenzahn überholt und ich erleichtert sehe, ach, ich bin gar nicht so lahm, das war wieder so ein Elektrovelo, denke ich: Diese Alten werden ja immer jünger. Und es gibt auch immer mehr davon.

Ein Arbeitskollege von mir zum Beispiel liess sich vor kurzem pensionieren. Dafür besuchte er eigens einen Kurs, weil so eine Pensionierung ist eine komplizierte Sache. Als er uns das erzählte, rieten meine Gspänli und ich ein bisschen, was für Ratschläge man Frischpensionierten wohl mit auf den Weg gibt:

nicht zur Feierabendzeit und am Samstagnachmittag einkaufen gehen?

Dem Frölein an der Kasse lieber mal ein Nötli geben, statt Münz exakt abzählen?

Ausflüge nicht unbedingt auf die Pendlerzeiten terminieren?

Vor dem Zug höflich warten, bis die Leute ausgestiegen sind (es hat für alle Platz)?

Jugendliche nicht zusammenscheissen (sie sind eh stärker, frecher, und es nützt nichts)?

Im Tram nicht schon drei Haltestellen vor dem Ziel aufstehen?

Unser Arbeitskollege, der Frischpensionierte, ist zum Glück ein humorvoller Mensch. Er lachte grossmütig über unsere schnippischen Vorschläge. Und meinte schliesslich: ja, etwa in die Richtung. Und Dignitas hatte bei dem Kurs auch noch einen Stand.

Sarah Pfäffli

Samstag, 10. September 2011

Bienne: Drama im Garten

In Biel war Mittag. Ein paar alte Bekannte hatten Lust auf Währschaftes, also fuhr ich mit ihnen in einen Vorort, in eine Banlieue quasi. Die Einheimischen nannten den Ort früher Brügglyn, weil sie ihn so cool fanden. Und ich muss sagen, Brügg bei Biel ist bis heute die beste suburbane Gemeinde der westlichen Hemisphäre.

Jedenfalls nahmen wir in einem lauschigen Biergarten Platz und bestellten Rüeblisuppe mit Rahmhäubchen, Spätzlieintopf mit Brotkrümeln und Zwiebelschwitze und einen Halben Eistee. Alles war gewohnt solid: Essen, Bedienung, die Alkis am Stammtisch. Wir genossen gerade gemeinsam Heimatgefühle, als sich Schreckliches ereignete. Ein stattliches Kaninchen war aus seinem nahe gelegenen Gehege ausgebrochen und rannte jetzt mit Höchstgeschwindigkeit durch den Biergarten, die Besitzerin, ein junges Mädchen, hinterher. Plötzlich Totenstille. Der grosse schwarze Hund eines Gastes am Nebentisch hatte zugeschnappt. Das Häschen starb noch auf der Unfallstelle, im Biergarten wagte man kaum zu atmen. Und was tat die Serviceangestellte? Sie gab uns eine Kostprobe typisch suburbanen Humors. Keine Angst, sagte sie, morgen haben wir sicher kein Kaninchen auf der Menükarte.

Fabian Sommer

Samstag, 3. September 2011

Burn: Baden macht selig

Sodeli, der Franken ist wieder ein bisschen schwächer, die Welt ist gerettet. Oder äch doch nicht? Ein bisschen hat mich in den letzten üblen Wochen das Gefühl beschlichen, dass es uns vielleicht niemals mehr so gut gehen wird wie gerade jetzt. Was ein neues Gefühl ist, weil es uns bisher doch immer noch besser und noch besser ergangen ist. Ich glaube, meinen Gspänli geht es ein bisschen ähnlich, aber da niemand so recht weiss, wie damit umgehen, umgehen wir das Thema einfach. Und hüpfen fröhlich in die Aare, sie schwemmt die Sorgen mit sich weg, und raus kommt man immer ein bisschen freier und besser, als man davor war.

Oder wir erzählen uns stundenlang Witze und Anekdoten. Eines meiner Gspänli berichtete beispielsweise, seine Grosseltern hätten früher Bedienstete beschäftigt. Als eines Abends Spanferkel gereicht wurde, bat die Familie die Haushälterin, das Schwein doch bitte mit einer Zitrone im Maul zu servieren. Die Haushälterin gehorchte widerwillig. Aber als sie schliesslich das Esszimmer betrat, hatte sie die Zitrone im Mund.

Wir weinten Tränen bei unserer Flucht in die gute, leichte, lustige alte Zeit. Selig ist das Volk, das Geschichten erzählen und in einem Fluss baden kann.

Aber von weit her weht schon ein ungewisser Herbst herbei.

Sarah Pfäffli