Samstag, 29. Dezember 2012

Bienne: 2012

In Biel war fast schon 2013. Ein alter Bekannter und ich hielten bei einer Wildsaubratwurst inne und blickten ganz kurz auf 2012 zurück. Es tönte so: Nebel. Playoff-Stadt! Brennende Autos. Nebel. Hans Stöckli irgendwohin gewählt. Biel weniger kriminell als Bern, Baby. Kein Nebel mehr. Braderie. Brennende Autos. 36 Grad! Was, Wahlen? Wie, was, eine schwule Regierung? Tyler Seguin. Tyler Seguin. Tyler Seguin. Die neuen Stadien kommen doch noch! Brennende Autos. Und der Nebel ist zurück.

Alles in allem, meinte der Bekannte, brachte 2012 etwa das, was wir uns erhofft hatten.

Fabian Sommer

Samstag, 22. Dezember 2012

Burn: Besinnungslos

Dabei wollte ich doch noch so viel! Ich wollte Grittibänzen backen und schöne, persönliche Weihnachtskarten schreiben und sie dann auch tatsächlich verschicken. Überhaupt Briefe und Karten schreiben. Sport treiben und Yoga machen und gesunde Sachen essen. Weniger Alkohol. Mehr schlafen. Die Grossmutter anrufen. Die Fenster putzen. Oder putzen lassen. Ein Back-up machen. Jeden Tag Zahnseide benutzen. Das Lichterspektakel auf dem Bundesplatz anschauen. Das Hochzeitskleid reinigen lassen. Mit dem Zug schnell nach Paris fahren. Immer zurückschreiben. «Krieg und Frieden» fertig lesen. Das Velolicht flicken. Die Bilder aufhängen, die immer noch herumstehen. Gitarre üben. Eine halbwegs anständige Bank finden und das UBS-Konto auflösen. Lernen, wie Twitter funktioniert. Ordnung auf den Computer und in die E-Mails bringen. Das mit den Swiss-Flugmeilen abklären. Den Kleiderschrank aufräumen. Scrabble spielen. Einen Kurs besuchen. Und ich wollte eine Kolumne schreiben mit der Pointe, dass ein mir bekannter Mensch beim Lied «Es ist ein Ros entsprungen» jahrelang verstand: «Es ist ein Ross entsprungen».

Aber jetzt ist natürlich schon wieder Weihnachten und das Jahr quasi vorbei.

Sarah Pfäffli

Samstag, 15. Dezember 2012

Bienne: Im Heim

In Biel war Weihnachtsmarkt. Am Punsch-, Glühwein- und Bratwurststand loderte ein Feuer, und so konnten all jene, die sich dort zu viel warmen Alkohol hinter die Binde gekippt hatten, dies auch Stunden später und auf 50 Meter Distanz nicht verstecken. Man erkannte sie am schwankenden Gang und am Feuerstellengeruch in Haaren und Kleidung.

Unerklärlicherweise hatte ich für einmal weder aufs eine noch aufs andere Lust. So entschloss ich mich, mit einem alten Bekannten dessen Grossmutter Pia in einem Altersheim in der Agglomeration zu besuchen.

Es wurde ein schöner Ausflug.

Um 13.45 Uhr brachen wir für einen Spaziergang durch den verschneiten Garten der Institution auf. Am schwarzen Brett beim Eingang hing ein Zettel, den die Grossmutter genau studierte. Es ging um Hirntraining für Demente. Pia meinte: «Welch schreckliche Krankheit, zum Glück haben wir die nicht!» Wir gingen ein paar Schritte.

Um 13.55 Uhr waren wir zurück. Pia blieb vor dem schwarzen Brett stehen. Sie las den Zettel mit dem Hinweis aufs Hirntraining für Demente aufmerksam durch. Dann sagte sie: «Welch schreckliche Krankheit, zum Glück haben wir die nicht!»

Fabian Sommer

Samstag, 8. Dezember 2012

Burn: New York, London, Bern

Der Prophet ist im eigenen Land nichts wert, und Bern weiss nicht, was es an der Reithalle hat. Hat man erst einmal die Kokainangebote auf dem Vorplatz abgelehnt, ist es da nämlich richtig nett, vor allem im Dachstock. Ich war kürzlich mal wieder dort: Das Konzert war nett, das Barpersonal sehr nett, die Durchmischung des Volks netter als nett. Ich sprach mit einem hohen Bundesbeamten sowie einem Stabsmitglied einer Bundesrätin. Um uns herum sammelten die Vorplatzbewohner Flaschen, um das Depot zu kassieren. Wo gibt es so eine Kombination?

Vielleicht in New York. Aber wo gehen die New Yorker hin, wenn sie in Bern in den Ferien sind? Sie nehmen einen Drink im Bellevue, einen Espresso im Adrianos – und gehen in die Reithalle in den Ausgang. Das zumindest empfiehlt die «New York Times». Und gerade vis-à-vis der Reithalle liegt ein weiterer aussergewöhnlicher Ort: das Dead End. Wer dort noch nie einen traurigen Morgen verbrachte, hat etwas verpasst. Das fand auch ein Mitarbeiter von Tracy Emin. Als das Kunstmuseum 2009 eine Ausstellung der Künstlerin zeigte, verliebte sich ihr Neonist (ihr Neon-Verantwortlicher?) ins Dead End. Er hat später in London eine Bar nach dem Vorbild des Dead End eröffnet.

Wer hätte das gedacht: Bern war schneller!

Sarah Pfäffli

Samstag, 1. Dezember 2012

Bienne: Der rechte Weg

In Biel war der November zu Ende gegangen, und es hatte einen einzigen nebelfreien Tag gegeben. Petrus, meinte ein alter Bekannter, sei sicher Fan unseres Hockeyteams. Seine Beweisführung war dann allerdings etwas wacklig: Die einzigen Sonnenstrahlen hatte uns der Wettermacher in der Tat nach dem Sieg des EHCB in und gegen Bern geschenkt. Nur gingen unsere Boys am gleichen Abend gegen den gleichen Gegner 2:8 unter. Egal, brummte der Bekannte. Er wolle sowieso über Erziehung reden, nicht über Sport und Wetter. Sein achtjähriger Sohn sei nämlich vom rechten Weg abgekommen. Er habe sich dem Schlittschuhclub Bern zugewandt. Plötzlich schwärme er von Bührer statt Berra und wünsche sich SCB-Devotionalien zum Geburi. Der alte Bekannte war fassungslos. Sein Sohn, ein SCB-Fan? Welch grässliche Vorstellung! Beim Wochenendeinkauf im Supermarkt habe er dann zur Ultima Ratio der gewaltlosen Kindererziehung greifen müssen, erzählte er etwas verschämt. Manchmal heilige aber der Zweck die Mittel. Vor dem Gemüseregal habe er seinen Sohn vor die Wahl gestellt: «Entweder du vergisst den SCB sofort, oder ich kaufe Rosenkohl für eine ganze Woche ein.»

Fabian Sommer

Samstag, 24. November 2012

Burn: Duschen gegen Seich

Etwas vom Besten am Stadtleben ist die Anonymität. Dass den Menschen, anders als im Dorf, niemand dreinredet, nachspioniert, sie kontrolliert. Die Tratschhäufigkeit verhält sich meiner Erfahrung nach umgekehrt proportional zur Menschendichte. Ich zum Beispiel sehe von meinen Nachbarn nicht viel mehr als den Namen ihres WLAN. Und das ist völlig in Ordnung so.

Aber, natürlich, ja ja ja: Die Anonymität hat ihre Schattenseiten. Ein Bekannter wohnte an der Aarbergergasse. Am Wochenende wurde sein Hauseingang jeweils in ein Pissoir verwandelt. Um den Seich zu bekämpfen, installierte er eine Webcam. Von da an wurden die Pisser nicht nur live ins Internet übertragen, es erwartete sie auch eine Dusche, wenn ein Bewohner sie auf frischer Tat ertappte. Hinter der Haustüre stand stets ein Wasserkübel wurfbereit.

Manchmal belästigen einen aber auch anonyme Nachbarn ungehemmt. Eine Freundin von mir veranstaltete eine Grillparty im Gärtli, als von oben plötzlich ein Joghurt geflogen kam. Der Becher landete einen halben Meter neben einem Baby, das in seinem Babybehälter schlummerte. Es gab dann viel zu reden über den Vorfall im Quartier. Die Spekulationen über den Joghurtterroristen waren wild und zahlreich. In solchen Momenten ist eben auch die Stadt nur ein einziges, überdimensioniertes Dorf.

Sarah Pfäffli

Samstag, 17. November 2012

Bienne: Im App-Store

In Biel war am helllichten Tag ein Auto von der Strasse abgekommen und hatte rund zwei Dutzend Fahrräder plattgemacht. Ein alter Mann hatte Brems- und Gaspedal verwechselt und einen Veloständer vor einer belebten und beliebten Bar gerammt.

Verletzt wurde niemand. Es bot sich aber ein spektakuläres Bild, eines mit künstlerischem Anspruch beinahe. Die Leute machten Fotos und schickten sie auf diverse Hotlines diverser Onlinemedien. Minuten später sah ich auf dem Smartphone exakt das, was ich auch live sah. Breaking News de Bienne!

Der Zufall wollte es, dass ich am selben Abend im Shop des Mobilfunkanbieters meines Vertrauens eine SIM-Karte abholen musste. Dort wurde ich Zeuge einer veritablen Ver-App-Elung. Unmittelbar vor mir war ein freundlicher Herr in einem freundlichen weinroten Pullunder dran. «Guten Tag, ich suche eine App zum Spielen», sagte er. Die Verkäuferin antwortete: «Dann gehen Sie doch in den App-Store.» Der Mann: «Aber ja, wo ist der denn?» Die Verkäuferin: «Gleich die Strasse rauf, beim Zentralplatz links.» Der Mann im Pullunder bedankte sich und machte sich auf die Suche.

Fabian Sommer

Samstag, 10. November 2012

Burn: Augen zu und durch

Wa, Wa, Wahlen. Ich mag Wahlen, es ist wie bei einem grossen Sportanlass, man wettet auf jemanden und verfolgt dann, ob er oder sie gewinnt, dann Autocorso und Sekt. Demokratie, olé olé! Aber oh. Dann kommen die Wahlunterlagen. Und das ist in Bern: Propaganda des Schreckens. Ich verstehe das nicht. Ich kenne gefühlte Hundert Werber in Bern. Warum fragt die niemand, wenn es ums Konzepten und Gestalten eines Wahlprospekts geht? Ich stelle mir jeweils vor, wie die Ideenfindung wohl lief. Vielleicht so: PR-Mensch: «Und dann machen wir so ganz pfiffige Föteli. Darauf nehmen die Kandidaten so Gemüse und Früchte in die Hand und halten sie in die Kamera und lächeln so!» Junge Grüne: «Super raffiniert! Weil wir sind ja Grüne! Da passt Gemüse megagut!» Oder bei der EDU: «Vorne drauf tun wir so ein künstliches Bild einer perfekten Familie, so mit einer blonden Frau, einem Mann, der noch Haare hat, und zwei Kindern, Mädchen und Bub.» – «Ja, so müsste es bei allen Familien sein! Und dann müssen sie so glücklich lachen!» Gruselig.

Ich schmeisse das Zeug ins Altpapier, beisse auf die Zähne und wähle die Gleichen wie immer. Dann schmiede ich einen Plan. Bis in vier Jahren mache ich ein eigenes Büro auf, das gute, unbiedere Kampagnen entwirft. Ich höre schon den Sekt knallen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 3. November 2012

Bienne: Le Märit

In Biel war le Zibelemärit. Schon wieder ein zentraler Bereich des Lebens also, in dem wir anderen Städten im Kanton Bern voraus sind, meinte ein alter Bekannter, den ich am Weissweinstand traf.

Mit dem Zibelemärit sei es wie mit der Quote der Schüler, die den Übertritt in die Sek schaffen. Es sei wie mit den Frisuren des Durchschnittsbürgers oder wie im Spitzeneishockey. Biennois seien einfach ein bisschen früher, gescheiter, stil- und treffsicherer als die Konkurrenz aus Thun, Bern, Langnau.

Ich stimmte schmunzelnd zu und sah mich eine Weile um. Das Schöne am Bieler Zibelemärit, liebe Erfinder des original Zibelemärits zu Bern, ist: Bei uns gibt es keine nervigen Konfetti, keine nervigen Gummihämmerli, keine grenzdebilen Touristen, die in Cars anreisen und sich frühmorgens in der Kälte betrinken. Bei uns werden einfach an ein paar Ständen Zwiebeln, Brot, Käse, Glühwein und Gewürze feilgeboten. Man trifft sich und schwatzt. Es riecht gut. Es ist die Essenz des Zibelemärits.

Und vom Himmel fallen ein paar Schneeflocken, die sich ihren Weg durch den Nebel bahnen und zu sagen scheinen: Schaut her, liebe Bielerinnen und Bieler, wir sind auch so früh wie ihr.

Fabian Sommer

Samstag, 27. Oktober 2012

Burn: Schön wärs

Eine Stadt zu regieren, ist schwer, und Politiker und Beamte lassen sich dafür allerlei lustige Sachen einfallen. Zürich stellte ein gelbes Riesenei mit dem infantilen Namen Örbi auf, um zu erfahren, was sich Herr und Frau Zürcher so wünschen. Das eigens designte Wägeli wurde nun eingewintert. 120 000 Franken kostete das sauglatte Projekt.

 In Bern dagegen lanciert Alexander Tschäppät die Idee eines Stadtinspektors. Dieser soll sich den Hässlichkeiten in der Stadt entgegenstellen: Leuchtreklamen, Topfpalmen, Werbeständer vor Läden. Tschäppät erntete damit reflexartig Häme. Ich dagegen finde: Super, wenn der Stadtpräsident so was sieht. Mich stört die Verkölnisierung auch: billige Schuhparadiese, raus aus der Altstadt, rein ins Westside! Läden mögen sich schön dekorieren! Gartenbeizen müssen eine Gattung machen!

Aber bitte, ein Stadtinspektor? Ein Mann mit «Kranz am Hut», der durch die Stadt stolziert und Formulare ausfüllt? Nein! Wenn schon müsste das eine gewinnende Persönlichkeit machen, mit viel Charme und dem Talent, Kritik auszusprechen. Mit einem untrügerischen Sinn für Ästhetik und einem sensiblen Radar für Geschmacklosigkeiten. Der Gabe, Probleme treffend, aber hübsch zu formulieren. 

Herr Stadtpräsident, ich bewerbe mich hiermit auf die ausgeschriebene Stelle. Ich gebe mich auch mit einem Lohn von 200 000 Franken zufrieden.

 Sarah Pfäffli

Samstag, 20. Oktober 2012

Bienne: Après-Match-Physik

In Biel war Freitagmittag, als mir vor dem Hotel Elite Tyler Seguin über den Weg lief. Tyler Seguin! Er, liebe Ahnungslose, ist einer der besten Hockeyspieler der Welt. Der Mann holte als 19-Jähriger mit Boston die wichtigste Trophäe in diesem Sport, den Stanley-Cup. Weil in der amerikanischen Profiliga gestreikt wird, spielt Seguin derzeit für den EHC Biel-Bienne.

Ich traute mich nicht, ihn anzusprechen. Stattdessen las ich seine Twitter-Einträge. Er hatte ein Bild von der Stadt Bern hochgeladen. Es sei wunderschön dort, hiess es dazu. Nun, dachte ich, einem Mann seiner Klasse sei dieser Fauxpas verziehen.

Denn Seguin sorgt auch abseits von Eis und Twitter für hübsche Geschichtchen: Weil er für uns spielt und das Team verbessert, kommen derzeit recht viele Zuschauer in den Bieler Eistempel. So viele, dass nach den Spielen die Busse Richtung Zentrum beängstigend überfüllt sind. Es stehen so viele Leute in der Tür, dass diese nicht schliesst und der Bus nicht fährt.

Nach dem letzten Match fragte der Chauffeur entnervt: «Sind Physikstudenten anwesend?» Von ganz hinten war ein Ja zu vernehmen. Darauf brummte der Fahrer: «Dann erklär denen an der Tür doch mal, wie eine Lichtschranke funktioniert.»

Fabian Sommer

Samstag, 13. Oktober 2012

Burn: Sich zügeln

Grad war wieder Umzugszeit, das sieht man immer gut in der Stadt: Die Haustüren sind für alle offen, Berge von Krempel stehen «gratis!» auf dem Trottoir, ungeübte Fahrer von Mietlastwagen versperren die Strassen und werden angehupt; nirgendwo auf der Welt hupt man so schnell wie in der Schweiz, wenn jemand bei Grün nicht grad anfährt.

Lang sind die Staus vor dem Entsorgungshof, denn all das Zeugs, das niemand «gratis!» wollte – die mit Stickern verzierte Kinderkommode, der verdellte Couchtisch «Lack» (29.90 Franken bei Ikea), die CD-Ständer –, all die einst angeschleppten Sachen müssen irgendwie weg, und so stehen die Lastwagen bis auf die Strasse hinaus an, das blockiert den übrigen Verkehr.

Endlich kommt man dran, leicht aggressiv inzwischen, aber die Mannen vom Entsorgungshof sind nicht aus der Ruhe zu bringen, mit einer Aura von völligem Gleichmut lösen sie stoisch die kompliziertesten Abfallprobleme – Glas da. Elektrogeräte hier. Holz dort. Und gleichzeitig schaffen sie es, im Kopf nach geheimnisvollen mathematischen Formeln den geschuldeten Betrag zu berechnen. 14 Franken. Adiemitenang. Jetzt den Lastwagen wenden und durchs Tor manövrieren. Aber vorher noch was einladen: bisschen Entsorgungshofgelassenheit zum Weiterzügeln.

Sarah Pfäffli

Samstag, 6. Oktober 2012

Bienne: Neue Chefs

In Biel ist der grosse Wahltag passé. Und hey, seither ist chez nous etwas Tatsache, das es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nirgendwo sonst auf der Welt gibt: Unsere neue Regierung ist schwul. Cédric Némitz (SP), Beat Feurer (SVP) und Barbara Schwickert (Grüne), drei der fünf Gemeinderäte, leben in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Klar, dass das hübsche Schlagzeilen bei «Blick» und Co. gab: «Wahnsinns-Wahl in Biel» zum Beispiel.

Man muss es klar sagen: Uns ist schnuppe, an wen sich die Stadtchefs in ihrer Freizeit kuscheln. Und manche von uns haben gar die Hoffnung, dass eine mehrheitlich homosexuelle Regierung besser arbeitet als eine mit lauter Heteros. Das Schönste am Ganzen ist aber, dass man nun überall nette Anekdoten über unsere Gemeinderäte hört. Er habe kürzlich Némitz und Feurer vor einem Restaurant in der Altstadt gesehen, erzählte etwa ein alter Bekannter. Feurer habe gesagt: «Hier esse ich nicht, das ist ein diskriminierender Laden.» Némitz habe zuerst die Welt nicht mehr verstanden. Dann aber sei ihm klar geworden, was der Kollege meinte. Vor der Beiz stand ein Schild: «WARME SPEISEN IM KELLER».

Fabian Sommer

Samstag, 29. September 2012

Burn: Ball rein

Der Acker meines Herzens befindet sich im Breitenrain. Alle paar Wochen verbringe ich dort einen Nachmittag auf einem Holzbänkli, reisse mir an einem Holzsplitter die Strümpfe auf, esse Gasparini-Glace und huste, weil vor mir ein Mann Stumpen raucht. Willkommen auf dem Spitz, dem Sportplatz Spitalacker, wo einst YB spielte und die Nationalmannschaft.

Obwohl ich als Zugezogene die ungeschriebenen Gesetze des Platzes nicht kenne, ist er mir lieb und teuer. Auf der Terrasse sitzen immer ein paar Herren, die sich ärgern, wenn einer blöd spielt. Ist die erste Mannschaft dran, ruft ein Fan unermüdlich: «Ball rein – Breitenrain!» Und ab und zu raunzt ein Zuschauer einem Spieler etwas Lakonisches zu, etwa: «Dä geisch itz ga hole!», wenn einer den Ball über die Holztribüne gekickt hat.

Sogar Mark Streit ist manchmal da, wenn er in Bern weilt. Stritmärcu! Und kürzlich stand Lars Lunde auf dem Platz. Der Letzte, der YB zum Meistertitel schoss! Er trainiert jetzt ein Drittligateam. Nach dem Spiel schüttelte er den Kopf und vielen die Hand. Ein Junge schleppte derweil einen Sack voller Bälle herum, fast grösser als er selbst. In meinem Kopf sang Prince «Brei-te-rain» zur Melodie von «Purple Rain», und ich dachte: Nur an einem Ort der Welt hat selbst der Ballsack einen Spitz-Namen. Wir nennen ihn: Honoré de Balzac.

Sarah Pfäffli

Dienstag, 25. September 2012

Bienne: Am Festival

In Biel war Schnitzelfestival. So zumindest stand es auf dem handgeschriebenen Schild vor einer Kneipe im Zentrum. Ich dachte wehmütig an den Schwarzwald, wo Schnitzel mit Spätzle für 5 Euro zu haben und leckerleckerlecker sind. Der Verlockung konnte ich deshalb nicht widerstehen. Die Bieler Schnitzel, die ich mit ein paar alten Bekannten ass, waren klein und zäh und 36-fränkig. Wir brauchten viel Bier, um satt zu werden. Ernüchtert, aber alles andere als nüchtern, fiel ich Stunden später ins Bett. Am nächsten Tag erfuhr ich, was eine meiner Schnitzelbekannten erlebt hatte: Um 3.15 Uhr beobachtete sie einen jungen Mann, der sich auf einer sechs Meter hohen Leiter befand; in der offensichtlichen Absicht, durch ein Fenster in ihr Nachbarhaus einzusteigen. Meine Bekannte rief die Polizei. Und so stürmten Sekunden später Ordnungshüter mit Taschenlampen und Pistolen durchs Quartier. Es stellte sich heraus: Der Einbrecher war der Nachbar, der seinen Schlüssel verloren hatte. Er war extra auf eine Leiter gestiegen, um seine Familie beim Nachhausekommen nicht zu wecken.

Die Bekannte war sich sicher: Der Typ musste vorher auch am Schnitzelfestival gewesen sein.

Fabian Sommer

Samstag, 15. September 2012

Burn: Eltern im Hausgang

Kinder breiten sich in meinem Bekanntenkreis aus, als wären sie ansteckend, und sie machen das Leben der Eltern reicher und komplizierter. Sie schmeissen den Kaffee um, sie wollen exakt dann essen, wenn sie eben Hunger haben, und sie schlafen genau dann, wenn es ihnen passt, selten dann, wenn es die Eltern gern hätten. Sie sind ja auch sehr doof. Ich zum Beispiel stellte mir als Kind vor, die böse Kreatur namens Marder, die ab und zu ein Kabel kaputt machte oder Eier stahl, sei ein kleiner Mann mit rechteckigem Kopf. Doof.

Kommt das Gespräch auf Kinder, versichern sich Unbekinderte, wie unkompliziert sie das handhaben wollen, wenn sie selbst mal ein Bébé haben. Kinder müssen sich den Eltern anpassen, nicht umgekehrt! Dann macht es halt mal später Mittagschlaf! Dann gibts halt mal Pommes frites statt Rüeblibrei! Ja ja. Wir haben gut reden. Vielleicht könnten wir etwas von unseren Vätern und Müttern lernen. Die waren in dieser Hinsicht ausnahmsweise ja mal cooler als wir. Heute liefe es wohl unter Vernachlässigung, wenn Eltern in den Ausgang gehen und die Kinder allein zu Hause lassen würden. So war es jeweils bei meinem Gspänli. Er suchte seine Mutter immer vergeblich im Korridor, wenn sie abends wegging. Dabei hatte sie doch gesagt, sie gehe in den Hausgang.

Sarah Pfäffli

Samstag, 8. September 2012

Bienne: Dicke Dinger

In Biel war Politik Trumpf. Überall Plakate für die städtischen Wahlen am 23. September. Überall Röseli verteilende Möchtegernparlamentarier. Überall Schöggeli verteilende Möchtegerngemeinderäte. Nirgendwo Hans Stöckli, dafür überall dieser Typ mit Bieler Wappen auf der Krawatte, der Stadtpräsident werden möchte. Und ein Wahlcouvert im Briefkasten, so dick, dass man es nicht mehr zubekommt, wenn man es einmal aufgerissen hat. Möglicherweise sei das Taktik, meinte ein alter Bekannter, den ich an einem spontan einberufenen Wahlapéro traf. Weil man die hundert Millionen Prospekte nicht mehr ins Couvert zurückstopfen und beiseitelegen kann, werde man praktisch genötigt, das Zeug anzuschauen. Danach sei auch Wählen keine grosse Sache mehr. Und, sagte der Bekannte: Wählen ist ja wichtig.

 Dem pflichtete die sich aktuell im Amt befindende Stadträtin bei, die – zufällig oder nicht – zur improvisierten Wahlveranstaltung stiess. Sie erzählte dann noch vom Tag, als sie zum ersten und einzigen Mal ihre dreijährige Tochter mit an eine Stadtratssitzung genommen hatte. Die Kleine habe sich lange umgeschaut, lange überlegt und dann enttäuscht gefragt: «Mami, wo sind jetzt all die Affen?»

 Fabian Sommer

Samstag, 1. September 2012

Burn: Szenen einer Ehe

Bern verglüht im Rückspiegel, und aus dem Radio fragt jemand: «Where is the love?», und ich denke: Das ganze Auto ist bis oben voll damit, siehst du das denn nicht? Der Mann legt eine CD ein, und ich nehme die richtige Spur. Ab und zu tauchen Erinnerungsfetzen auf. In fünf Stunden ist man am Meer, und was für ein gutes Meer das ist, seicht und warm und freundlich.

Am Abend sitzen wir vollgegessen im Restaurant, Spaghetti waren nur die Vorspeise. Da setzt sich ein Paar an den Tisch neben uns, nein: ein Päärli, es hält Händchen über den Tisch hinweg. Die beiden sprechen Züritüütsch, aber irgendwie verpassen wir fatalerweise den Moment, in dem man ohne grosse Folgen «Hallo» sagen könnte. Ein Lächeln und zwei, drei Worte würden genügen, ah ja, auch aus der Schweiz, schön hier, he. Stattdessen sitzen wir nur da und schauen uns ratlos an. Sie reden, wir sagen gar nichts, und so sind wir plötzlich zum Schweigen verdammt, denn je länger es dauert, desto peinlicher wäre es, sich jetzt doch noch zu outen.

«Il conto, per favore!», flehen wir schliesslich. Noch nie haben wir uns die Rechnung so sehr herbeigesehnt. Später lachen wir ein bisschen über unsere eigene Doofheit. Und über die Ironie der Szene: Wir müssen ausgesehen haben wie ein lange verheiratetes Paar, das sich längst nichts mehr zu sagen hat.

Sarah Pfäffli

Samstag, 25. August 2012

Bienne: 36 Grad

In Biel war der Asphalt sehr heiss. Die Temperaturanzeige am Bahnhof zeigte 36 Grad an. Klar denken war schwierig bis unmöglich. Wahrscheinlich genau deshalb waren in der Nidaugasse Spendensammlerteams unterwegs. Kinder in Not, Orang-Utans in Not, Gletscher in Not.

Mir gingen Dutzende Ausreden durch den Kopf, weshalb ich heute gerade nicht spenden kann. Und auch Dutzende lustige Ratschläge in Magazinen und Zeitungen, die schon zum Thema Ausredenerfinden im Angesicht von Spendensammlern publiziert worden sind. All das wurde schnell nichtig. An diesem Tag lernte ich, dass im Umgang mit diesen Leuten nichts so gut ist wie: Ehrlichkeit. Als ich an der jungen Dame mit gelbem Overall vorbeiging, sprach sie gerade eine alte Frau an. Sie war trotz Schweissflecken sichtlich motiviert: «Lieben Sie Kinder? Dann helfen Sie ihnen!» Die Alte sagte einfach nur etwas: «Ich hasse Kinder.» 15 Sekunden später hatte die Junge eine Antwort parat: «Die Kinder hassen Sie auch, und in dem Fall wollen sie Ihre Hilfe gar nicht!» Die Alte schaute sie an. Dann sagte sie: «Wunderbar, dann haben wir einen gemeinsamen Nenner. Und Sie können sich verpissen.» 

Fabian Sommer

Samstag, 18. August 2012

Burn: He, he, Herr Mötzli

Zum Glück ist sie wieder offen, die Kornhausbrücke. Für uns Velofahrer war das ja eine Pein, den Göppel bergab zu stossen. Aber es gibt auch Leute, die sind jetzt ein wenig traurig: all die Berner Hobbypolizisten, die sich wahnsinnig freuten, dass sie mal ganz legitim und mit echter polizeilicher Unterstützung motzen durften, weil unzählige Velofahrer trotzdem drüberfuhren.

Donnerwetter, war das ein Gemotze und Hinterhergeschreie! Was kamen da für passive Aggressionen ans Tageslicht! Also nicht dass ich gefahren wäre. Diesen Gefallen würd ich den Mötzlis nie tun.

Aber den Mötzlis gehen die Aufgaben auch so nie aus. Kürzlich sah ich einen im Zug. Ich sass im Speisewagen, der Mann mir vis-à-vis trank Tee aus einer Tasse, die die ganze Fahrt über auf dem Tellerchen klapperte und klimperte. Plötzlich konnte sich ein Mann am Nebentisch nicht mehr halten: «Tschuudigung, chöit dir das Tassli nid näbe das Tällerli steue?» Der Mann macht schweigend wie geheissen, sichtlich genervt. Mötzli: «Dir ghöret doch, wie das tuet!» Tee-Mann: «Ja Entschuldigung, wir fahren hier bisschen Zug, sind ja nicht im Hotel!» Mötzli: «Jaja, i wüu dr de!»

Ich möchte fast sagen, die Welt wäre freier, wenn ab und zu mal jemand sagen würde: He, Mötzli, halt mal den Latz.

Sarah Pfäffli

Samstag, 11. August 2012

Bienne: Gold für Biel

In Biel war gerade noch rechtzeitig vor dem Ende der Spiele in London der olympische Geist eingekehrt, und zwar richtig. Wunderbar: Die Menschen in der Stadt unterhielten sich nicht wie sonst über den Strich- und Abstiegskampf unserer Sportclubs, sondern über Tontaubenschiessen, Landhockey, Gewichtheben, Greco-Ringen und Wasserball. Und ja: Sie liessen sich von Olympia anstecken. Am See, wo üblicherweise Fussball gespielt wird, probierten plötzlich alle mehr oder minder exotische Sportarten aus. Kubb, dieses lustige Wikingerschach. Frisbee. Tretbootfahren. Cricket.

Ich hatte soeben meine Pétanque-Partie verloren, als ein alter Bekannter auftauchte. Auch er war euphorisiert. Vier Goldmedaillen habe Biel in London gewonnen, posaunte er. Und Schweizer Meister im Fussball seien wir jetzt auch noch! Ich hörte ihn noch «Ici, c’est Bienne» skandieren, dann war er weg. Tage später fand ich heraus, was der Bekannte gemeint hatte: Die Bieler Band Pegasus liefert den offiziellen Olympiasong des Schweizer Fernsehens, das Album des Quartetts gewann kürzlich Gold. Und der Bieler Sänger Mark Fox singt das offizielle Lied der neuen Schweizer Fussballsaison. Hell yeah, dachte ich. Wenn das so weitergeht, findet Olympia 2032 noch à Bienne statt.

 Fabian Sommer

Samstag, 4. August 2012

Burn: Blödes Taxi

Es sind Olympische Spiele, und weil London Angst hatte vor den vielen Leuten in der U-Bahn, hängen vielerorts Plakate mit der Frage: «Why not walk?» Die Frage hat mich ein wenig an Bern erinnert, und zwar an ein Taxierlebnis. Ich kehrte in der Nacht von der Arbeit nach Bern zurück, war todmüde und wollte nur schnell heim. Setzte mich am Bahnhof in ein Taxi. Breitenrain, sagte ich, und die Adresse, worauf er losfuhr, aber nicht ohne zu bemerken: «Das ist ja nicht weit! Das könnten Sie laufen!» Natürlich stieg ich trotzig aus und ging zu Fuss. Es war nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist, fast alle Berner Taxifahrer werden mindestens grantig, wenn man eine kurze Strecke fährt; schliesslich könnten sie in dieser Zeit jemanden nach Lyss chauffieren, was wesentlich einträglicher wäre. Einer hat sich einmal schlicht geweigert: Nehmen Sie ein anderes Taxi.

Das ist natürlich blöd, weil mir das auch meine Taxiromantik vergrault. Ich glaube, ich könnte eine super Taxikundin sein, ich halte Taxis theoretisch für ein vorzügliches Verkehrsmittel. Und obwohl mir die Fahrer nie etwas Interessantes erzählen, glaube ich noch immer, die hätten total aufregende Geschichten auf Lager. Die werde ich leider aber auch künftig nie hören, weil Taxi in Bern? Why not walk?

Sarah Pfäffli

Samstag, 28. Juli 2012

Bienne: Rapport aus den Ferien

In Biel war eine Grillparty für die Von-den-Ferien-nach-Hause-Gekommenen. Die Vorfreude war gross. Als Ferienrückkehrer rechnete man damit, aufdatiert zu werden, was man so verpasst hat, während man irgendwo lag und sich Sonnenbrand einfing. Traurigerweise waren am Grillfest aber dann auch alle anderen Anwesenden soeben aus den Ferien zurückgekehrt. Aus der Heimat gab es null News. So drehten sich die Gespräche um das Übliche: Ein alter Bekannter etwa wollte auf Gran Canaria Marihuana kaufen. Er kam 50 Euro ärmer und mit 5 Gramm Grüntee aus einem Hinterhof zurück.

Schon besser war die Geschichte jenes Bekannten, der in Berlin Geld abheben wollte und am Bankschalter Zeuge eines hübschen Dialogs wurde. Ein Mann, so erzählte er, habe verlangt, dass seine Auszüge künftig an eine Adresse in Rostock geschickt würden, da er nur noch wenige Tage im Monat in Berlin sei. Das konnte die Frau am Schalter aus irgendwelchen Gründen nicht in die Wege leiten. Der Mann fragte, was denn passiere, wenn sein Briefkasten voll sei und der Postbote merke, dass er nicht geleert werde. Darauf meinte die Schalterfrau: «Nun, dann schreiben wir Sie an und fordern Sie auf, Ihren Briefkasten zu leeren.»

Fabian Sommer

Samstag, 21. Juli 2012

Burn: Adieu, Chätschi-Platz

Er war eines der letzten Mysterien dieser Stadt. Jedes Mal, wenn ich darüber hinwegfuhr, wunderte ich mich über die Stelle, die wir den Chätschiplatz nannten: ein Stück Asphalt in der Matte, das zugepflastert war mit Kaugummis. Nichts an dem Ort verriet, warum die Chätschis ausgerechnet da klebten – er befand sich nicht direkt unter der Brücke, auch war kein Schulhaus in unmittelbarer Nähe. Der Chätschiplatz blieb ein Rätsel.

Jetzt ist er verschwunden. Zumindest zur Hälfte. Erst hätte ich ihn fast übersehen. Dreimal musste ich die Aarstrasse abfahren, bis ich seine Überreste entdeckte. Die Stadt hat den Strassenbelag zur Hälfte erneuert. Adieu, Chätschiplatz. Erst jetzt, da er nicht mehr ist, habe ich mich erkundigt, was es mit ihm auf sich hatte. Der «Bund» hat das mal recherchiert: Die Chätschis stammten von einem Mann, der mit Rauchen aufgehört hatte. Angeblich, um der Liebe zu seiner Frau eine Art Denkmal zu setzen, spuckte er seine Nikotinkaugummis stets auf die Strasse vor dem Haus. Ein hübscher Spleen.

Jetzt, wo ich die Geschichte kenne, finde ich es grad noch ein wenig trauriger, dass es den Chätschiplatz nicht mehr in seiner alten Grösse gibt. Und wohl auch nie mehr geben wird. Denn der Mann hat laut «Bund» 2008 wieder mit Rauchen angefangen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 14. Juli 2012

Bienne: Sommer-Blues

In Biel war Saure-Gurken-Zeit. Sommerloch. Die Stadt war wie ausgestorben. Ich ass Gelati und starrte ins Leere. Ja, ja, Sommer hatte den Sommerblues. Dann fuhr eine Frau mit ihrem grossen Auto vor das Eiscafé. Sie besetzte zwei Parkplätze auf einmal. Ein Mann sagte zu ihr: «Entschuldigung, ihr Auto steht auf zwei Plätzen.» Sie sagte: «Okay, Entschuldigung angenommen.» Ich fand, dass es Zeit war, sich gegen den Blues aufzulehnen. Und darüber nachzudenken, was man in dieser Stadt ändern könnte.

Vielleicht sollte man mal einen geeigneten Platz für die Alkis finden. Es nervt nämlich, wenn man Besuchern am Bahnhof Biel jedes Mal erklären muss, dass sie jetzt dann gleich von zwar friedliebenden, aber halt doch lallenden und stinkenden Suchtkranken angemacht werden. Schön wäre auch, wenn man auf einen der leeren Plätze in der Stadt ein paar Bäume pflanzen könnte. Man könnte auch die Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen den Bedürfnissen der Bevölkerung anpassen. Man könnte mal vorwärtsmachen mit den neuen Stadien. Oder ein Konzertlokal einrichten mit Platz für 1000 Leute oder mehr.

Zuerst könnte man aber auch in ein Flugzeug steigen und sich ein paar Wochen lang aus der Ferne nach Biel sehnen.

Fabian Sommer

Samstag, 7. Juli 2012

Burn: Romantik im Zelt

Ich mag den Gedanken ans Zeltlen. Aber man weiss ja, wie das ist mit der Vorstellung von Dingen: Die Wirklichkeit vermag selten mitzuhalten. So ist es auch mit Schifffahrten – ich liebe die Idee, aber die Realität ist dann in der Schweiz weniger Seefahrerromantik als Schulreise und Rentnerausflug und der Geruch von schwitzenden Sandwiches. Trotzdem waren wir jetzt endlich campieren, ein bisschen zögerlich: nur eine Nacht, und nur ins Eichholz, dann könnten wir wieder heim, wenns ganz blöd würde. Es wurde dann erst am Morgen blöd. Davor wars sehr schön: in der Aare frieren, pingpönglen, zu viel Zeug grillieren, zu Fuss in den Ausgang gehen, gemeinsam Zähne putzen, den Regen aufs Zeltdach hauen hören, schwitzen und sehr schlecht schlafen. Perfekt!

Bis am Morgen dann, da erklang auf einmal sehr laut sehr fröhliche Musik, sehr fröhliche Menschen in sehr fröhlichen Kleidern begannen zu tanzen und zu jauchzen. Sie übten Choreografien, schüttelten ihre Gliedmassen, hüpften dynamisch. Eine Art Outdoor-Fitness-Latino-Aerobic-Tanzkurs hatte den Zeltplatz eingenommen. All die Geräusche und die Farben waren Gift für unsere empfindlichen Köpfe. Mit unserer Rumlümmelei war es vorbei. Wir zogen ab. Ach Wirklichkeit, du alte Spielverderberin. 

Sarah Pfäffli

Samstag, 30. Juni 2012

Bienne: Das Fest

In Biel war seit genau einer Nacht Braderie. So heisst, und es ist mir eine Ehre, es an dieser Stelle Jahr für Jahr zu wiederholen, unser supermegaultragerissenes Stadtfest, liebe Nichtbieler. 100 000 Leute in den Strassen und so. Dagegen ist der Zibelemärit: nichts. Und ja, heute und morgen könnte man auch als Berner oder Langenthaler oder Emmentaler dabei sein, wenn man möchte.

An ebendieser Braderie, meinte ein alter Bekannter, den ich beim Güggelistand traf, komme er jeweils ins Grübeln. Über die Intelligenz der Spezies Mensch. So schön das kollektive Lustigsein ja sei: Wenn er junge Leute sehe, die rot gefärbten Alkohol aus riesigen vasenartigen Gefässen in sich schütteten und das Aufgenommene Minuten später oral ausschieden, zweifle er. Und auch die Inflation an Henna-Tattoos gebe ihm zu denken.

Erst richtig witzig aber werde es, meinte der Bekannte, wenn grosse Fussballturniere und Braderien terminlich zusammenfielen, so wie jetzt. Am Kiosk habe er genau zum Braderieauftakt zwei junge Männer gesehen, die in der «Bild»-Zeitung gelesen hatten, dass rund 30 Millionen Deutsche das letzte Spiel ihres Teams an der Euro gesehen hätten. Der eine habe dann den anderen gefragt: «Passen überhaupt so viele Leute ins Stadion?»

Fabian Sommer

Samstag, 23. Juni 2012

Burn: Mein Ding

Es gibt Leute, die sind wahnsinnig stolz darauf, dass ihre gesamte Habe in eine Bananenschachtel passt. Ich gehöre nicht dazu. Ich liebe meine Sachen, pflege eine innige Beziehung zu Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen, etwa zu meiner Himugüegeli-Tasse oder meiner Küchenmaschine.

Aber ich bin nicht allein. Auch andere Menschen sind seltsam mit Sachen. Ich kenne jemanden, der regelmässig die Teller ganz unten vom Stapel benutzt – damit die nicht vernachlässigt werden. Die Mutter einer Freundin von mir kauft immer den hässlichsten Weihnachtsbaum, den sonst niemand will, aus purem Mitgefühl. Ich selbst unterscheide bei Plastiksäcken schöne von wüsten. Die wüsten wandern in den Abfall, die schönen werden gesammelt und zu besonderen Gelegenheiten getragen. Und ich bin im Fall nicht die Einzige, die so denkt.

Am liebsten ist mir aber die Angewohnheit unserer Freundin, einer halben Amerikanerin. Sie gibt ihren Sachen passende Namen. Ihr Auto, ein Jeep, heisst Heraldo, ihr Velo ist die flinke Cecille, ihr Handy nennt sie Jack. Dann ging Jack kaputt. Jetzt telefoniert sie mit Jack the second. Das Auto ihres Mannes trägt den adligen Namen Mrs. Wendela Wentworth. Und die Lederjacke ist ein heisser Südländer: Massimo Roberto. Gut Ding will eben Liebe haben.

Sarah Pfäffli

Samstag, 16. Juni 2012

Bienne: Tanken im Park

In Biel war Autakt zur Sommerfestsaison. Jedes Wochenende ist jetzt irgendwo in Stadt und Region irgendein Massenbesäufnis. Ich musste deshalb dringend Kraft tanken und innere Zufriedenheit finden. Ein alter Bekannter hatte mich erst kürzlich gemahnt: Seriöse Vorbereitung ist alles, für alles. Im Stadtpark, so hoffte ich, würde ich exakt dafür die perfekten Bedingungen vorfinden. Ich malte mir aus, wie ich inmitten herumtollender Kinder, grillierender Bielerinnen und Bieler mit Migrationshintergrund und betagter Spaziergänger aus den nahe gelegenen Altersheimen in den Batterieauflademodus schalten könnte. Und meine Erwartungen wurden vorerst vollumfänglich erfüllt. Vor allem die alten Leute wärmten meine Seele. Sie grüssten und winkten, sie lächelten die Jungen an! Und: Sie schienen auch nach Jahrzehnten Ehe noch immer ineinander verliebt zu sein. Als mir ein besonders hübsches greises Paar Händchen haltend entgegenkam, hätte ich die ganze Welt umarmen können, so rührend-schön war dieser Anblick. Dann hörte ich, was die Frau zum Mann sagte. Sie tat es mit giftigem Unterton. «Hättest du gestern nicht so viel gesoffen, müsste ich dich jetzt nicht an der Hand nehmen, Werner.» 

Fabian Sommer

Samstag, 9. Juni 2012

Burn: Zwei Seelen, ach

Es gibt einen Song mit dem schönen Titel: «Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein.» Ja, das möchte ich. Ich wäre wirklich gern sehr bewegt und überzeugt von diesen Partyprotesten. Nicht weil ich glaube, dass Bern ein zu kleines Nachtleben hat. Genug Angebote gibt es – einfach nicht genug gute.

Aber ich wünschte mir, die Berner würden begreifen, dass das Nachtleben ein zentraler Attraktivitätsfaktor einer Stadt ist, kein unerwünschter Nebeneffekt. Dass sie eine Vorstellung davon entwickeln, wie die Stadt es fördern – und damit steuern – kann, statt stets bloss Scherben zusammenzuwischen. Und ich meine nicht nur Tschäppät, Lerch, Müller. Sondern sehr viele Berner ab etwa dreissig, die vor allem darum besorgt sind, dass sie am Morgen wieder früh aus dem Bett müssen.

Das wünsche ich mir schon lange, und deshalb hätte ich die Tanzparty vor einer Woche super finden müssen. Doch dann stand ich auf dem Bundesplatz, neben einer Gruppe besoffener Glatzköpfe, die das T-Shirt ausgezogen hatten, ans Bundeshaus pinkelten und alles Hammer fanden. Und ich war mir nicht so sicher, ob wir die gleiche Vorstellung haben von gutem Ausgang.

Dann begriff ich: Ich denke wie die! – Die, die nur die negativen Nebenerscheinungen sehen. Und nicht das Wesentliche. Oh, ich wollte, ich könnte Teil einer Jugendbewegung sein.

Sarah Pfäffli

Samstag, 2. Juni 2012

Bienne: Street Art biennois

In Biel war Katerstimmung. Viele Biennois und nicht weniger Biennoisen mussten den zwei langen Wochenenden Tribut zollen. Ich kurvte also zwecks Schädeldurchlüftung ein wenig mit dem Velo durch die Stadt. Dabei fiel mir auf: Bieler Kreisel sind scheisse. Okay: Zwei, drei haben ein paar Blumen drauf. Aber in der Summe sind sie nur trist. Wir haben keine Kunstwerke, keine Statuen, keine goldenen Rüebli und schon gar keine überlebensgrosse «golfende Wildsau», wie sie in Otelfingen ZH einen Kreisel schmückt (der nun zu Recht in den Top 10 der schönsten Kreisel der Schweiz figuriert, die auf der Website kreiselkunst.ch gekürt werden). Er gebe mir recht, sagte ein alter Bekannter, dem ich bei einer kurzen Rast am Seeufer von meiner Erkenntnis berichtete. Sogar im Emmental, meinte er, seien die Kreisel schöner.

Beim Heimfahren wurde mir dann schlagartig klar, weshalb Bieler Kreisel fast ausnahmslos trostlose Kieselstein- oder Dreckhaufen sind. Übers lange Wochenende hatten Unbekannte einen Container mitten auf einen Kreisel gehievt und dort umgekippt. Wie arrangiert quollen die Müllsäcke aus dem halb offenen Deckel. Street Art biennois braucht eben Raum.

Fabian Sommer

Samstag, 26. Mai 2012

Burn: Alte Liebe rostet

Vielleicht passiert es diesen Sommer. 2012 könnte das erste Mal seit etwa 15 Jahren sein, dass ich nicht ans Gurtenfestival gehe. Noch habe ich überhaupt keine Anstalten gemacht, mir ein Ticket zu beschaffen. Früher war das ein Reflex. Vorverkaufsrekord? Echt? Mich dünkt das Programm ja so beliebig wie schon lang nicht mehr. Ein bisschen von allem. Aber das ist wahrscheinlich gerade das Erfolgsrezept. Beliebt durch Beliebigkeit.

Hingegen hat es wohl mehr mit mir zu tun als mit dem Festival, wenn meine eigene und die öffentliche Wahrnehmung so weit auseinandergehen. Vielleicht ist es wie bei einer alten Liebe: Langsam kennt man sich halt auswendig. Ich könnte auf dem Gurten mit verbundenen Augen zeigen, welcher Foodstand wo steht, ich wette viel Geld darauf, dass dieses Jahr im Bacardi-Dome sehr oft «Nossa, Nossa» laufen wird, ich habe den modrigen Geruch in der Nase, der von den Plastikplatten aufsteigt, wenn es darunter sumpft. Seit 15 Jahren jedes Jahr das Gleiche. Mach doch einfach Schluss!

Aber dann denk ich: Wir hatten es doch mal so schön zusammen! Die wildesten, lustigsten und traurigsten Tage im Jahr haben wir miteinander verbracht! Vielleicht ändert er sich ja doch noch! Was mache ich nur ohne ihn! Vielleicht sollte ich mich mal um ein Ticket kümmern. Nossa, Nossa.

Samstag, 19. Mai 2012

Bienne: Die Choco-Posse

In Biel war an sich Sonnenschein Trumpf. Trotzdem lief es vielen Biennois dieser Tage eiskalt den Rücken hinunter. Grund war ein Milchgetränk.

Ein alter Bekannter war es, der die Sache vor allen anderen entdeckt hatte. Vor dem Kühlregal einer Migros-Filiale durchfuhr ihn der Schreck seines Lebens, wie er erzählte. Auf dem Fläschchen Chocodrink à Fr. 1.50 war: das SCL-Tigers-Logo! Memmen aus dem Tal! Auf einem Chocodrink in einem Bieler Laden! Die Krone setzte dem Ganzen der Slogan auf: «Aus der Region, für die Region»! Der Bekannte dachte zuerst, er habe ein Augenleiden. Ein Blick ins Internet gab diesbezüglich aber zu seinem Glück Entwarnung. Dutzende hatten sich bereits online beim Grossverteiler beschwert, sogar die Zeitungen berichteten über die «unerwünschte Tigersichtung in Biel» («Bieler Tagblatt»). Und Migros versprach, das unsägliche Fläschchen bald aus dem Sortiment zu nehmen.

Ich hatte Verständnis für den Bekannten, als er sagte, er habe trotzdem auf allen ihm zur Verfügung stehenden Kanälen zum Boykott des orangen Riesen aufgerufen. Noch besser fand ich allerdings seine andere Idee: Er wollte einen Transportheli mieten und über Langnau 5000 Liter Protestmilch von Bieler Kühen abwerfen.

Fabian Sommer

Samstag, 12. Mai 2012

Burn: Bern down under

Die schlechtesten Kolumnen der Welt handeln von den Umständen ihrer Entstehung. Trotzdem muss jetzt dieser Satz kommen: Währenddem ich das schreibe, bin ich in Australien. Und obwohl die Australier wahnsinnig nett und locker sind, erinnern sie mich ein bisschen an die Berner. Das liegt an der Sprache. Was dem Berner das «-li», ist dem Australier das «-ie». Alles wird verniedlicht: «Breakfast» wird zu «breakie», «barbeque» zu «barbie», «mosquitos» zu «mosies». Ich fand das sehr hübsch und herzig, bis mich ein Australier aufklärte: Das habe nichts mit Verniedlichung zu tun. Sondern mit Faulheit. «Bar-be-que» oder «mo-squi-to», das seien viel zu lange Wörter.

Bern ist trotzdem gar nicht so weit weg, zumindest sprachlich. Ich habe hier sogar das schönere Berndeutsch gehört als in Bern. Mein Onkel ist vor mehr als dreissig Jahren nach Australien ausgewandert – und er hat sich den Dialekt von damals erhalten. Er sagt schöne Dinge wie «stiu ha» für anhalten oder «ä Tube» für eine aufgedonnerte Frau oder rechnet mit dem Flächenmass der «Jucharte».

Lange Zeit hatte er noch die Fernausgabe einer Schweizer Zeitung abonniert, aber das Abo hat er inzwischen aufgegeben. Seine Begründung gab mir zu denken: Es hatte ihm zu viele Englische Ausdrücke drin.

Sarah Pfäffli

Samstag, 5. Mai 2012

Bienne: Mosaik zum Sonntag

In Biel war Schönwettersonntag. Ich hatte das Sofa auf dem und den Fernseher in Richtung Balkon platziert. Dani Kern kommentierte einen Fussballmatch. Der Mann, man müsste es längst wissen, bringt die Dinge in penetranter Regelmässigkeit durcheinander. Als er einen Spieler als «wichtiges Puzzle im Mosaik» bezeichnete, zog ich die Konsequenzen und warf meinen Schönwettersonntagsplan über den Haufen.

Ich drückte den roten Knopf der Fernbedienung und besuchte ein essenzielles Teilchen des Puzzles Biel: das Seeufer. Ich sah Hunde und Menschen, die Bällen nachjagten. Ich sah eine Familie, die sich an einem Tischchen über riesige Haufen Speiseeis hermachte. Und ich sah drei 12-Jährige mit Baseballmützen, die sich einen Spass daraus machten, sich gegenseitig mässig kreativ zu beleidigen. Einer sagte: «Hey Mann, deine Mutter!» Ein anderer sagte: «Hey Mann, deine Grossmutter!» Der Dritte überlegte einen Moment. Dann sagte er: «Hey Mann, deine Generation!» Ich lächelte zufrieden. Ein 12-Jähriger mit Mütze hatte mir soeben das noch fehlende Mosaiksteinchen geliefert, das den missglückten Start in den Schönwettersonntag vergessen machte.

Fabian Sommer

Samstag, 28. April 2012

Burn: Nike und Leon forever

Kürzlich erlitt ich im Yoga einen kleinen Schock: Neben mir hatte ein Modi ein riesiges, rotes Nike-Logo auf den Unterarm tätowiert. Mit «Ohm», Feueratem und Entspannung war es für mich vorbei. Caramba! Ein Swoosh! Ich hatte einen unmittelbaren Anfall von Mitleid. Das arme Ding. Und erst noch rot. Das lässt sich niemals weglasern. Mir fiel eine Frau aus Bern ein, die sich das Chanel-Logo tätowieren liess. Super vulgär. Oder der Junge mit dem pickligen Rücken, den ich am Gurtenfestival sah, mit dem grauenhaft gezeichneten Bern-Panorama auf dem Schulterblatt: Das Münster hatte einen Bogen. Meine Generation ist so tätowiert wie noch keine vor ihr. Es fing mit dem Michelle-Hunziker-Armband an, dann kam das Arschgeweih, dann folgten die Sterne, die Blumen, die Retromotive, und wem gar nichts mehr einfällt, der tätowiert sich halt den Namen seines Kindes. Mia. Leon. Lena. Noah. Wie stolz wird der Papa sein Tattoo mal herzeigen, wenn der kleine Noah dereinst mit Glatze und Bierbauch als Buchhalter bei einer Versicherung arbeitet! Rock 'n' Roll!

Wer weiss. In zwanzig Jahren, wenn Mia, Leon, Lena und Noah erwachsen sind, wird es vielleicht am coolsten sein, wer kein einziges Tattoo oder Piercingloch vorweisen kann. Und wir sehen dann alle krass alt aus.

Sarah Pfäffli

Samstag, 21. April 2012

Bienne: Ziel Biel

In Biel war 1.15 Uhr. Zwei Männer betraten die Bar, in der ein alter Bekannter mit mir über den Frühling philosophierte. Sie waren etwa 60 Jahre alt und enorm bäschelet, wie Stadtberner anscheinend sagen, wenn sie besoffen sind. Einer von ihnen war zuvor umgefallen. Er hatte eine Wunde oberhalb des linken Auges mit Taschentuch und Klebeband verarztet. Um 1.45 Uhr kratzte der Mann 8.55 Franken in kleinen Münzen aus Hosen- und Jackentaschen zusammen und bestellte Bier. Er heisse Chrigu, sein Freund Pesche, erzählte er. Aus Zäziwil. An einem Fest in Niederbipp habe er die zwei Halbeli Roten eingepackt, die in den Innentaschen seiner Jacke lagerten. Der Vorteil eines Halbeli Roten gegenüber einer Dose Bier sei ja, dass man dieses zuschrauben und auslaufsicher in der Kleidung verstauen könne. Irgendwann hätten sie gefroren in Niederbipp und seien deshalb in irgendeinen Zug gestiegen, erklärte Chrigu. Ziel war Biel. Wie sie die Nacht rumbringen würden, wüssten sie nicht. Um 2.50 Uhr legte ich die beiden in ein Taxi und schickte den Fahrer zu einer noch offenen Kneipe. Der alte Bekannte wurde nachdenklich. «Am Ende führen alle Wege nach Biel», sagte er.

Fabian Sommer

Samstag, 14. April 2012

Burn: Das alte Lied

Es kommt ja selten vor. Aber wenns regnet oder mein Velo woanders steht als ich, steige ich eben ins Tram oder den Bus. Dabei treffe ich mit unverhältnismässig hoher Wahrscheinlichkeit auf Strassenmusikanten, die gerade ein Konzert geben. Ich würde dann am liebsten wieder aussteigen, weil ich weiss: Danach fühle ich mich immer schlecht.

Oft singt da ein Typ mit Gitarre Mani-Matter-Lieder. Wasgsehniseitsvrenizumstini. Manchmal sind es ganze A-cappella-Truppen. Wobei sich Lautstärke und Selbstvertrauen häufig umgekehrt proportional verhalten zum Können. Obwohl es den Ohren nicht hilft, schaue ich weg. Die Situation fühlt sich an wie im Lift – ausweglos. Und ich hoffe jeweils, dass ich aussteigen kann, bevor jemand Geld will. Was mich dabei am meisten plagt, ist mein Bettlerdilemma. Einerseits will ich nichts geben, weil: Schliesslich hab ich nicht um ein Konzert gebeten. Und ich kann ja nicht jedem etwas geben. Ibigopfridstutzkebank, und so weiter. Andererseits: Irgendwie müsste ich doch. Und es würde mich ja nur zwei Fränkli kosten. Das ist für mich nichts, für die Musikanten aber vielleicht zwei Bier.

Also gebe ich manchmal was, manchmal nicht. Egal wie – ich fühl mich schlecht dabei. Und deshalb mag ich keine Strassenmusikanten: Jeder singt das Lied meiner Prinzipienlosigkeit.

Sarah Pfäffli

Samstag, 7. April 2012

Bienne: Netter Bettler

In Biel war die Sonne erst seit wenigen Minuten am Himmel, und schon erhellte eine Nachricht in der Zeitung mein Gemüt. Die amtliche Kriminalstatistik belegt es: Biel ist sicherer als Bern. Pro 1000 Einwohner wurden 2011 bei uns 164 Straftaten verübt. In Bern 172. Diese Fakten wären ja ein gefundenes Fressen für Biennois wie mich, ein super Steilpass für einen ausführlichen Biel-ist-viel-besser-als-sein-Ruf-Erguss. Aber das lassen wir jetzt mal bleiben.

Wahre Sieger feiern still. Just am Morgen mit der tollen Nachricht aus der Welt der Kriminalität musste ich Zug fahren. Beim Billettautomaten sprach mich ein Mann an. Er war adrett gekleidet: Anzug, Krawatte, Lederschuhe. Er fragte freundlich, ob er mich «so früh am Morgen eventuell kurz stören» dürfe. Als ich bejahte, bettelte er. «Hätten Sie allenfalls ein wenig Münz für mich?» Und: «Wissen Sie, ich bin ein wenig am Mischeln.» Als ich erwiderte, seine für einen Bettler ungewohnt nette Art entzücke mich zwar, doch hätte ich trotzdem nichts für ihn, meinte er: «Kein Problem, junger Mann. Es ist ja schliesslich Ihr Geld.» Im Zug erzählte ich die Story einem alten Bekannten. Er sage es schon lange, meinte er. In Biel gebe es nicht nur weniger Verbrecher als in Bern, sondern auch die netteren.

Fabian Sommer

Samstag, 31. März 2012

Burn: Z Märit gah

Der Übergang ins Erwachsenenleben vollzieht sich schleichend, aber hie und da verpasst einem das Leben einen kleinen Chlapf und ruft fröhlich: Du bist nicht mehr zwanzig. Sondern schon fast ranzig. Am Berner Samstagsmärit zum Beispiel fährt man als junger Berner höchstens mal vorbei, wenn man besonders spät vom Ausgang heimkehrt. Oder sehr früh aufstehen muss, um jemandem beim Zügeln zu helfen. Aber im Normalfall liegt man im Bett, wenn die Stadt Bern das Landleben zelebriert. Irgendwann muss man schliesslich schlafen!

Das fiel mir wieder ein, kürzlich am Samstagmorgen. Wir standen in der Münstergasse und kamen nicht vom Fleck, weil immer wieder jemand gegrüsst werden musste. Unsere Gruppe inklusive Kinderwagen versperrte den Weg, und der Geflügelstand hinter uns verkaufte kaum mehr ein Poulet. Nach gefühlten zwei Stunden bemerkte einer unserer Bekannten: «Jetzt trifft man sich also samstags auf dem Märit. Sehr bourgeois.» Autsch.

Die Bourgeoisie stieg aufs Velo und fuhr heim ins gentrifizierte Arbeiterquartier, wo sie leere Bierflaschen entsorgte. Sie verspürte ein bisschen Kopfweh vom Vorabend und legte sich erleichtert aufs Sofa. So schlimm ist es doch noch nicht. Irgendwann muss man schliesslich schlafen.

Sarah Pfäffli

Samstag, 24. März 2012

Bienne: Das Dreckloch

In Biel war mal wieder ein Auto in Flammen aufgegangen, und ich wusste, was in Bern und so jetzt geredet wird: Ghettostadt! Kriminell! Pack!

Das Thema Fremdwahrnehmung unserer Stadt war auch bei einem 11-Uhr-Brunch mitten unter der Woche Thema. Ich machte einem alten Bekannten klar, dass mir grundsätzlich furzegal ist, was andere über Biel sagen oder denken oder schreiben.

Und er? Zog kommentarlos ein Papier aus der Tasche. Es war die Fotokopie zweier Seiten aus dem Buch «Der Schweizversteher» von Diccon Bewes. Der britische Autor hat eine Art Wanderbericht über eine Reise durch die Schweiz verfasst. Für sein von den Kritikern hoch gelobtes Werk war er auch kurz bei uns. «Bis dahin hatte ich geglaubt, La Chaux-de-Fonds sei hässlich, doch ich änderte meine Meinung, als ich im Dreckloch der Schweiz ankam», schreibt er über seinen Besuch in Biel. Und bla. Und bla. Und blabla. Immerhin war Bewes dann noch rasch am See und in der Altstadt. «Zwei Schmuckstücke» seien das, «von denen jedes andere Dreckloch nur träumen kann».

Dieser Satz, das gebe ich zu, ist toll formuliert. Der Bekannte interpretierte ihn gar als Hymne auf Biel. Er will jetzt jedem, der ihn nach seiner Herkunft fragt, sagen, er lebe im schmucksten Dreckloch der Schweiz.

Fabian Sommer

Samstag, 17. März 2012

Burn: Total super originell

Seltsam: Es ist seit etwa einer Woche schönes Wetter, und noch hat keiner meiner Facebook-Freunde ein Aareschwumm-Foto hochgeladen. Lange dürfte es aber nicht mehr dauern, dann gehts wieder los mit den Es-ist-sonnig-und-ich-hab-frei-und-das-beste- Leben-ever-Bildern.

Das ist es, was mich an Facebook nervt. Das Privatsphäre-Problem ist mir derweil relativ egal; soll doch das blöde Internet wissen, wofür ich mich interessiere. Ich bin ja nicht Barack Obama und der Welt wohl ziemlich gleichgültig. Auch finde ich Facebook nicht grundsätzlich doof (wie die meisten, die nicht dabei sind). Jetzt gibt es das halt; weshalb sich darüber aufregen? Es stellt auch niemand die Existenz von Türrahmen infrage, selbst wenn ab und zu jemand dagegenknallt.

Nein. Ich finds einfach langweilig. Gähn, gähn, gähn. Weil immer alle das gleiche Zeugs teilen. Ob ein Video über einen ugandischen Kriegsverbrecher, ein Retrofoto von was Selbstgekochtem (bravo!) oder ein Link zu einer Berner Nachtlebengruppe – fünfmal am Tag von fünf Leuten das Gleiche. Und jeder fühlt sich originell. Dabei werden wir uns bei unserem Bestreben, etwas Besonderes zu sein, gerade immer ähnlicher.

Das ist allerdings nur meine total super individuelle Meinung, die ganz bestimmt noch kein Mensch vor mir geteilt hat.

Facebook: gefällt mir nicht mehr.

Sarah Pfäffli

Samstag, 10. März 2012

Bienne: Das einfache Glück

In Biel war alles complètement tranquille. Als Nichtbieler kann man sich das nicht vorstellen. Aber Eishockeyschauen ohne Existenzängste und Schweissflecken ist nach all den Jahren in Ligaquali und Playouts eine sehr ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung für uns. Jetzt spielen wir um den Meistertitel! Und es ist schön! Resultate sind unwichtig; man ist einfach glücklich, Bieler Männern und Zuger Mädchen beim Spielen zuzuschauen.

Ähnlich einfach funktioniert das auch mit unserem exorbitanten Lokalpatriotismus, den Kolumnenkollegin S. P. aus B. letzte Woche an dieser Stelle als kleinmütig bezeichnet hat. Wir Stadtwappentätowierer und Alles-ausser-Biel-Bienne-ist-Scheisse-Schreier sind einfach froh, dass bei uns die Dinge noch sind, wie sie sein sollen. Wir sind froh, rauszugehen und auch mit jemandem ins Gespräch zu kommen, der nicht die gleiche Hornbrille trägt wie wir. Wir sind froh, jungen Männern aus der Region beim Fussballspielen zuschauen zu können und nicht bloss alles veryoungboysenden Millionären. Wir sind sehr froh, vielleicht Stöckli, aber bestimmt nicht Fuchs oder Hess zu treffen, wenn wir im Ausgang sind. Wir sind froh, so klein zu sein und doch so gross. Wir und unsere Stadt, das ist für immer.

Fabian Sommer

Samstag, 3. März 2012

Burn: Biel forever

In Bern war Freitagabend. Am Nebentisch klopfte ein abgehalftertes SCB-Talent zu laute Sprüche, und unsere Runde kam um das Thema Eishockey nicht herum. Das kleine Bieler Playoff-Wunder wurde besprochen; bald auch die Stadt an und für sich. Und wie das sich gehört, wenn Berner über Biel sprechen, waren drei dagegen und jemand so halb dafür. Als Beweise für die Unmöglichkeit dieser Stadt berichteten meine Freunde von üblen Erlebnissen. Als symptomatisch sah die Runde die «doofe Autostrasse» an, die nach Biel führt. Sogar Siff und Dreck wurden ins Feld geführt, und am Tisch sassen nicht etwa 60-jährige Idylliker, sondern mitteljunge Halbhipster. Zögerlich wendete ich ein: Aber Biel hat etwas Grossstädtisches. Und eine gute Künstlerszene. Und günstige Wohnungen mit Stuck. Dem pflichtete auch die Runde bei, aber nur, um sich gleich dem nächsten Bieler Ärgernis zuzuwenden: Dieser Lokalpatriotismus! Bieler müssen ständig betonen, dass sie Biel die geilste Stadt der Welt finden, wie kleinmütig!

An diesem Punkt erzählte ich, dass mein Kollege das Bieler Stadtwappen auf den Arm tätowiert habe; so wie andere den Namen der Freundin. Die Freunde staunten ungläubig. Bis einer ehrlich besorgt bemerkte: «Hoffentlich machen die zwei nie Schluss.»

Sarah Pfäffli

Samstag, 25. Februar 2012

Bienne: Beim Coiffeur

In Biel war Fasnacht, und alle Biennois dachten nur an Eishockey, an den EHCB. Nach der unsäglichen Niederlage gegen die Memmen aus dem Tal vom letzten Samstag schwor ich mir im ersten Moment, nie wieder an Eishockey zu denken. Aber kein EHCB ist ja auch keine Lösung. Die grosse Frage war allgegenwärtig, Playoff oder Abstiegskampf. Bierschwemme und Konfetti und Kinderumzug boten keine valable Ablenkung vor dem Wochenende der Wahrheit. Da brauche es härteren Stoff, meinte ein alter Bekannter beim 4-Uhr-Tee-Rum. Er empfehle zum Beispiel körperliche Nähe. Ich ging also zum Coiffeur. Und kaum spürte ich das Reissen der Tondeuse im Nacken, war Eishockey weit weg. Zuerst liefen vor meinem inneren Auge wunderbare Coiffeursalonnamen durch. «Haar-Werk», «Haarlekin», «Power-Hair», «Coiffeur Fouzi», «michi-hair». Dann kam mir ein Coiffeur in den Sinn, der früher in Biel tätig und fast wie einst Dällebach Kari in Bern für seine Entertainmentqualitäten berühmt war. Mir schor er einmal die Haare auf zwei Millimeter. Dann fragte er: «Willst du Gel rein?» Das Leben ist schön, dachte ich. Dann posaunte die Coiffeuse, sie rasiere mir gratis ein Bieler Wappen auf dem Hinterkopf, wenn der EHCB die Playoffs schaffe.

Fabian Sommer

Samstag, 18. Februar 2012

Burn: Der Schandfleck von Bern

Auch nach Aarau könnte man mal fahren, dachten wir uns und fuhren nach Aarau. Es war sehr kalt, aber das Kunsthaus nah, und so sahen wir uns die Ausstellung von Roman Signer an, die sehr zu empfehlen ist im Fall. Am liebsten mochte ich das Filmli mit der Kiste: Die steht allein auf einer Wiese. Darunter eine mächtige Rakete. Der Künstler zündet sie an, und die Kiste explodiert in hunderttausend Stücke. So simpel wie effektiv. Auf dem Heimweg im Zug dachte ich wieder an Roman Signer, als ich Bern erreichte. Möge der Künstler kommen und auch den Schandfleck von Bern in die Luft jagen! Natürlich nur, wenn niemand drin ist, obwohl mir das Publikum dieses Ortes schon einigermassen, pardon, unsympathisch ist. Nie im Leben würde ich freiwillig da reingehen. Ich würde um mein Gedankengut fürchten und um meine Ohren sowieso. Ausserdem ist das Gebäude einfach grauenhaft hässlich. Eine schreckliche Visitenkarte für die Bundesstadt. Wie kann es nur sein, dass so ein wüstes Ding da unbehelligt stehen darf, während man inzwischen für jeden Crêpe-Teller in Bern eine Bewilligung benötigt? Herr Signer, übernehmen Sie bitte. Der Schandfleck von Bern möge in eine Million Teile zerspringen. Niemand würde sie vermissen, die rote Musicalhalle im Wankdorf.

Sarah Pfäffli

Samstag, 11. Februar 2012

Bienne: Im Bad

In Biel war nicht nur die Stimmung unterkühlt. Der EHC Biel war unter den Strich gerutscht. Und es war zum ersten Mal diesen Winter richtig scheisskalt. Man muss, und das dachte ich ungern, schon Richtung Bern fahren, um sich körperlich und moralisch aufzuwärmen. Ins Solbad Schönbühl, dieses dampfende Hospital für Tiefgefrorene. Dieses Mekka der Wärmesuchenden, diese 38 Grad heisse Oase des Berner Winters!

Leider ist das Bad in der eigenen Vorstellung immer besser als in Wirklichkeit. Grund sind die Solbad-Pärchen, eine verflucht nervige Spezies Mensch. Da sind die Huckepackpärchen, die alle anderen Badegäste mit Knien und Armen und Unterschenkeln anrempeln. Dann sind da die Teeniepärchen, wild zungenknutschend. Dann gibt es die hässlichen Pärchen, mit Badekappe und verschmierter Schminke im Gesicht. Sie schauen einander lasziv an. Als wären sie Bademodemodels.

Richtig eklig aber sind die Junggebliebenen, jene Pärchen um die 50, die sich in einer stark dampfenden Ecke des Bades einnisten und merkwürdige Bewegungen unter Wasser vollziehen. Wenn man sie anschaut, lächeln sie stolz.

Dass ich nach dem Ausflug ins gesunde Wärmebad drei Tage krank im Bett lag, erstaunte mich mässig.

Fabian Sommer

Samstag, 4. Februar 2012

Burn: Aua on Ice

Endlich ist es kalt! So soll er sein, der Winter, rau und hart – nicht so ein Weichei wie noch bis vor ein paar Wochen. Eine gute Jahreszeit, er macht alles weiss und schön, er bringt die Leute dazu, die Vorteile der Trams und Züge zu schätzen, und er lässt die Menschen würdevoll aussehen, weil sie angezogen sind. Nicht so wie im Sommer.

Andererseits ist der Winter aber auch die Zeit des Slapstick. Nie gibt es so lustige Szenen wie in der Kälte. Ich zum Beispiel wohne an einem Rain, zu Berndeutsch: einem Stutz, und so ergab es sich kürzlich, dass ich in der Nacht auf dem vereisten Strässli vom Velo absteigen musste, weil das Hinterrad durchdrehte. Das half aber auch nicht, weil profillose Schuhe, und so drehten auch die Füsse durch. Abwechselnd ich oder das Velo kippten um, und ich dachte schon, dass ich den Hang wohl nie mehr hochkomme, als ich es doch noch schaffte. Ausser Atem und mit blauen Flecken.

Anderer Winterslapstick: Ich ins Fitnessstudio, weil man nicht gut an der Aare joggen kann, wenn man ein Gfrörli ist wie ich. Ich stieg aufs Laufband, wo ich lange lief und ein bisschen in Trance kam und schliesslich auf den lustigen Gedanken: Ich könnte ja die Augen schliessen! Das kann man draussen nie! So mit geschlossenen Augen secklen! Nur so viel: Man kann es auch drinnen nicht.

Sarah Pfäffli

Samstag, 28. Januar 2012

Bienne: Die Maus im Bus

In Biel war ein gemütliches Fondueessen glimpflich zu Ende gegangen. Auf dem Heimweg im Auto musste ich verflucht scharf bremsen. Zum Glück war ich noch hellwach, als beim Fussballstadion Gurzelen zwei Menschen in Fussballschuhen aus der Nacht auf dem Fussgängerstreifen auftauchten. Es waren tatsächlich Spieler des FC Biel.

Ich erschrak sehr, die beiden Cracks des besten FCB der Welt auch. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle in aller Form entschuldigen: Ich , liebe FC-Biel-Stars L. S. und P. D., wollte euch wirklich keine Angst einjagen mit den quietschenden Bremsen. Ich bin ein grosser Fan von euch.

Die nächsten Tage fuhr ich dann Bus, und ich bereute es nicht. Nirgendwo, so lehrt die Erfahrung, erlebt man Schöneres als in der weiten Welt des öffentlichen Verkehrs.

Nur einen Tag nach dem Fast-Crash mit den FCB-Cracks sass ich im Bus vis-à-vis einem Mädchen mit einer kleinen weissen Maus in einer Kartonschachtel und einem alten, griesgrämigen Opa. Das Mädchen zeigte dem Mann das Tier und fragte, ob es nicht herzig sei. Der Opi rang seinem faltigen Gesicht ein Lächeln ab und sagte: «Vraiment chou, cette souris.» Das Mädchen lächelte zurück. Dann sagte es: «Verfütter ich jetzt gleich meiner Schlange.»

Fabian Sommer

Samstag, 21. Januar 2012

Burn: Armer Möndu

Der Berner Dialekt ist ein schöner, und er bietet immer wieder Anlass zu hübschen Missverständnissen, weil einfach viele Wörter so ähnlich klingen, mit all den Us und Ös und Üs. Nicht so weich wie der Solothurner mit seinen vielen überflüssigen Es: «I bi ds Soledurn id Reggrudeschueu gange», oder der Bieler mit seinen vielen Os, jooo. Kürzlich hörte ich eine Geschichte, die einer Bielerin wohl nie passieren würde: Es war an einem Geburtstagsfest «im Welschen», als die ganze Gesellschaft «Joyeux anniversaire» sang. Eine Bernerin unter den Gästen sang fröhlich mit. Erst am Ende fragte sie diskret ihren Begleiter, was das eigentlich heisse. Dieses «Schweinesahni».

Aber eben, Missverständnisse gibts nicht nur über die Sprachgrenzen hinweg, gerade im Berndeutschen sind sie verbreitet, und mein Lieblingsverhörer ist ein tragikomischer: Pfaditaufe, vor vielen Jahren, man rudert auf einen See, der Getaufte muss seinen Namen in alle vier Himmelsrichtungen schreien. Einer der Jungen sträubt sich hartnäckig, erst nach viel Widerstand heult er seinen eben erhaltenen Pfadinamen in die Nacht, er hat Tränen in den Augen, seine Stimme zittert.

«Mööönnnguuu! Mööönnnguuu!» Bis ihn die anderen Pfader stoppen. Er heisse im Fall nicht Möngu. Sondern Möndu.

Sarah Pfäffli

Samstag, 14. Januar 2012

Bienne: Wenn man es kennt

In Biel war Frühfrühlingswetter, 8 Grad, blauer Himmel, weit und breit weder Nebel noch Niederschlag. In der Zeitung sah ich ein Bild aus Klosters. «Schaiss Schnee», hatte dort jemand in den Schnee geschrieben. Ich war froh, nicht in Klosters zu sein.

Am Abend war in einem Bieler Pub eine kleine Party. Auch er sei glücklich, in Biel zu sein, meinte ein alter Bekannter, der an diesem Anlass als DJ wirkte. Die Leute tanzten ein bisschen. Er schrie ins Mikrofon: «Biel ist halt schon eine geile Stadt. Wenn man es kennt und von hier ist.» Dieser Satz stimmte mich nachdenklich. Biel ist also nur geil, wenn man es kennt?

Ich überlegte kurz und kam zum Schluss, dass der DJ so unrecht wohl nicht hat. Wir haben ja kein Münster und keinen Bärenpark. Es sind die versteckten, kleinen Dinge, die unsere Stadt aus- oder eben geil machen.

Kürzlich zum Beispiel sah ich das oberflächlich betrachtet eher unschöne Bild eines mutmasslich Obdachlosen, der in einem Mülleimer im Stadtzentrum herumwühlte. Als ein Geschäftsmann im Anzug vorbeikam und seine Sandwichverpackung in besagten Mülleimer warf, wurde er vom mutmasslich Obdachlosen angeschnauzt, es war wunderschön. Der Clochard sagte: «Was soll das? Ich störe Sie auch nicht bei der Arbeit!»

Fabian Sommer

Samstag, 7. Januar 2012

Burn: Der Berner Hut

Alle Völker haben ihre traditionelle Kleidung, es gibt Trachten, Halsstreckringe, Lippenteller, Lodenmäntel, Kimonos, Turbane, Saris. Und es gibt den Berner Hut.

Am Berner Hut erkennt man recht zuverlässig den durchschnittlichen Berner zwischen 20 und ungefähr 35. Der Berner Hut ist nicht ganz einfach zu beschreiben: eine Art Schirmmütze, aber lässiger als ein Baseballcap, häufig in den Farben Khaki oder Schlamm oder auch Anthrazit, leicht verwaschen.

Wenn man den Berner Hut sieht, weiss man schon sehr viel über dessen Träger: Er ist vermutlich YB-Fan, er raucht, er hat eine Stammbeiz in seinem Quartier und kifft ab und zu mal, aber nicht zu viel, er hat einen okayen Job, vielleicht ist er schon mit dem Schatz zusammengezogen; eher wohnt er aber mit den «Giele» in einer WG, in der irgendwo ein Bumerang und eine Bierwerbung hängen. Er macht gern Ferien mit dem VW-Bus und mag chillige Musik. Er plant, ans Red-Hot-Chili-Peppers-Konzert zu gehen, sagt gern «bündig», und besonders oft trifft man ihn am Gurtenfestival. Ob er mit dem Berner Hut eine sich ankündigende Glatze verbirgt oder ihn einfach nur als Tracht schätzt, ist nicht überliefert. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit denkt er nach dem Lesen dieser Kolumne: «Derä spinnts. Das isch doch eifach – nume ä Tschäppu.»

Sarah Pfäffli