Samstag, 30. Juni 2012

Bienne: Das Fest

In Biel war seit genau einer Nacht Braderie. So heisst, und es ist mir eine Ehre, es an dieser Stelle Jahr für Jahr zu wiederholen, unser supermegaultragerissenes Stadtfest, liebe Nichtbieler. 100 000 Leute in den Strassen und so. Dagegen ist der Zibelemärit: nichts. Und ja, heute und morgen könnte man auch als Berner oder Langenthaler oder Emmentaler dabei sein, wenn man möchte.

An ebendieser Braderie, meinte ein alter Bekannter, den ich beim Güggelistand traf, komme er jeweils ins Grübeln. Über die Intelligenz der Spezies Mensch. So schön das kollektive Lustigsein ja sei: Wenn er junge Leute sehe, die rot gefärbten Alkohol aus riesigen vasenartigen Gefässen in sich schütteten und das Aufgenommene Minuten später oral ausschieden, zweifle er. Und auch die Inflation an Henna-Tattoos gebe ihm zu denken.

Erst richtig witzig aber werde es, meinte der Bekannte, wenn grosse Fussballturniere und Braderien terminlich zusammenfielen, so wie jetzt. Am Kiosk habe er genau zum Braderieauftakt zwei junge Männer gesehen, die in der «Bild»-Zeitung gelesen hatten, dass rund 30 Millionen Deutsche das letzte Spiel ihres Teams an der Euro gesehen hätten. Der eine habe dann den anderen gefragt: «Passen überhaupt so viele Leute ins Stadion?»

Fabian Sommer

Samstag, 23. Juni 2012

Burn: Mein Ding

Es gibt Leute, die sind wahnsinnig stolz darauf, dass ihre gesamte Habe in eine Bananenschachtel passt. Ich gehöre nicht dazu. Ich liebe meine Sachen, pflege eine innige Beziehung zu Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen, etwa zu meiner Himugüegeli-Tasse oder meiner Küchenmaschine.

Aber ich bin nicht allein. Auch andere Menschen sind seltsam mit Sachen. Ich kenne jemanden, der regelmässig die Teller ganz unten vom Stapel benutzt – damit die nicht vernachlässigt werden. Die Mutter einer Freundin von mir kauft immer den hässlichsten Weihnachtsbaum, den sonst niemand will, aus purem Mitgefühl. Ich selbst unterscheide bei Plastiksäcken schöne von wüsten. Die wüsten wandern in den Abfall, die schönen werden gesammelt und zu besonderen Gelegenheiten getragen. Und ich bin im Fall nicht die Einzige, die so denkt.

Am liebsten ist mir aber die Angewohnheit unserer Freundin, einer halben Amerikanerin. Sie gibt ihren Sachen passende Namen. Ihr Auto, ein Jeep, heisst Heraldo, ihr Velo ist die flinke Cecille, ihr Handy nennt sie Jack. Dann ging Jack kaputt. Jetzt telefoniert sie mit Jack the second. Das Auto ihres Mannes trägt den adligen Namen Mrs. Wendela Wentworth. Und die Lederjacke ist ein heisser Südländer: Massimo Roberto. Gut Ding will eben Liebe haben.

Sarah Pfäffli

Samstag, 16. Juni 2012

Bienne: Tanken im Park

In Biel war Autakt zur Sommerfestsaison. Jedes Wochenende ist jetzt irgendwo in Stadt und Region irgendein Massenbesäufnis. Ich musste deshalb dringend Kraft tanken und innere Zufriedenheit finden. Ein alter Bekannter hatte mich erst kürzlich gemahnt: Seriöse Vorbereitung ist alles, für alles. Im Stadtpark, so hoffte ich, würde ich exakt dafür die perfekten Bedingungen vorfinden. Ich malte mir aus, wie ich inmitten herumtollender Kinder, grillierender Bielerinnen und Bieler mit Migrationshintergrund und betagter Spaziergänger aus den nahe gelegenen Altersheimen in den Batterieauflademodus schalten könnte. Und meine Erwartungen wurden vorerst vollumfänglich erfüllt. Vor allem die alten Leute wärmten meine Seele. Sie grüssten und winkten, sie lächelten die Jungen an! Und: Sie schienen auch nach Jahrzehnten Ehe noch immer ineinander verliebt zu sein. Als mir ein besonders hübsches greises Paar Händchen haltend entgegenkam, hätte ich die ganze Welt umarmen können, so rührend-schön war dieser Anblick. Dann hörte ich, was die Frau zum Mann sagte. Sie tat es mit giftigem Unterton. «Hättest du gestern nicht so viel gesoffen, müsste ich dich jetzt nicht an der Hand nehmen, Werner.» 

Fabian Sommer

Samstag, 9. Juni 2012

Burn: Zwei Seelen, ach

Es gibt einen Song mit dem schönen Titel: «Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein.» Ja, das möchte ich. Ich wäre wirklich gern sehr bewegt und überzeugt von diesen Partyprotesten. Nicht weil ich glaube, dass Bern ein zu kleines Nachtleben hat. Genug Angebote gibt es – einfach nicht genug gute.

Aber ich wünschte mir, die Berner würden begreifen, dass das Nachtleben ein zentraler Attraktivitätsfaktor einer Stadt ist, kein unerwünschter Nebeneffekt. Dass sie eine Vorstellung davon entwickeln, wie die Stadt es fördern – und damit steuern – kann, statt stets bloss Scherben zusammenzuwischen. Und ich meine nicht nur Tschäppät, Lerch, Müller. Sondern sehr viele Berner ab etwa dreissig, die vor allem darum besorgt sind, dass sie am Morgen wieder früh aus dem Bett müssen.

Das wünsche ich mir schon lange, und deshalb hätte ich die Tanzparty vor einer Woche super finden müssen. Doch dann stand ich auf dem Bundesplatz, neben einer Gruppe besoffener Glatzköpfe, die das T-Shirt ausgezogen hatten, ans Bundeshaus pinkelten und alles Hammer fanden. Und ich war mir nicht so sicher, ob wir die gleiche Vorstellung haben von gutem Ausgang.

Dann begriff ich: Ich denke wie die! – Die, die nur die negativen Nebenerscheinungen sehen. Und nicht das Wesentliche. Oh, ich wollte, ich könnte Teil einer Jugendbewegung sein.

Sarah Pfäffli

Samstag, 2. Juni 2012

Bienne: Street Art biennois

In Biel war Katerstimmung. Viele Biennois und nicht weniger Biennoisen mussten den zwei langen Wochenenden Tribut zollen. Ich kurvte also zwecks Schädeldurchlüftung ein wenig mit dem Velo durch die Stadt. Dabei fiel mir auf: Bieler Kreisel sind scheisse. Okay: Zwei, drei haben ein paar Blumen drauf. Aber in der Summe sind sie nur trist. Wir haben keine Kunstwerke, keine Statuen, keine goldenen Rüebli und schon gar keine überlebensgrosse «golfende Wildsau», wie sie in Otelfingen ZH einen Kreisel schmückt (der nun zu Recht in den Top 10 der schönsten Kreisel der Schweiz figuriert, die auf der Website kreiselkunst.ch gekürt werden). Er gebe mir recht, sagte ein alter Bekannter, dem ich bei einer kurzen Rast am Seeufer von meiner Erkenntnis berichtete. Sogar im Emmental, meinte er, seien die Kreisel schöner.

Beim Heimfahren wurde mir dann schlagartig klar, weshalb Bieler Kreisel fast ausnahmslos trostlose Kieselstein- oder Dreckhaufen sind. Übers lange Wochenende hatten Unbekannte einen Container mitten auf einen Kreisel gehievt und dort umgekippt. Wie arrangiert quollen die Müllsäcke aus dem halb offenen Deckel. Street Art biennois braucht eben Raum.

Fabian Sommer