Samstag, 29. September 2012

Burn: Ball rein

Der Acker meines Herzens befindet sich im Breitenrain. Alle paar Wochen verbringe ich dort einen Nachmittag auf einem Holzbänkli, reisse mir an einem Holzsplitter die Strümpfe auf, esse Gasparini-Glace und huste, weil vor mir ein Mann Stumpen raucht. Willkommen auf dem Spitz, dem Sportplatz Spitalacker, wo einst YB spielte und die Nationalmannschaft.

Obwohl ich als Zugezogene die ungeschriebenen Gesetze des Platzes nicht kenne, ist er mir lieb und teuer. Auf der Terrasse sitzen immer ein paar Herren, die sich ärgern, wenn einer blöd spielt. Ist die erste Mannschaft dran, ruft ein Fan unermüdlich: «Ball rein – Breitenrain!» Und ab und zu raunzt ein Zuschauer einem Spieler etwas Lakonisches zu, etwa: «Dä geisch itz ga hole!», wenn einer den Ball über die Holztribüne gekickt hat.

Sogar Mark Streit ist manchmal da, wenn er in Bern weilt. Stritmärcu! Und kürzlich stand Lars Lunde auf dem Platz. Der Letzte, der YB zum Meistertitel schoss! Er trainiert jetzt ein Drittligateam. Nach dem Spiel schüttelte er den Kopf und vielen die Hand. Ein Junge schleppte derweil einen Sack voller Bälle herum, fast grösser als er selbst. In meinem Kopf sang Prince «Brei-te-rain» zur Melodie von «Purple Rain», und ich dachte: Nur an einem Ort der Welt hat selbst der Ballsack einen Spitz-Namen. Wir nennen ihn: Honoré de Balzac.

Sarah Pfäffli

Dienstag, 25. September 2012

Bienne: Am Festival

In Biel war Schnitzelfestival. So zumindest stand es auf dem handgeschriebenen Schild vor einer Kneipe im Zentrum. Ich dachte wehmütig an den Schwarzwald, wo Schnitzel mit Spätzle für 5 Euro zu haben und leckerleckerlecker sind. Der Verlockung konnte ich deshalb nicht widerstehen. Die Bieler Schnitzel, die ich mit ein paar alten Bekannten ass, waren klein und zäh und 36-fränkig. Wir brauchten viel Bier, um satt zu werden. Ernüchtert, aber alles andere als nüchtern, fiel ich Stunden später ins Bett. Am nächsten Tag erfuhr ich, was eine meiner Schnitzelbekannten erlebt hatte: Um 3.15 Uhr beobachtete sie einen jungen Mann, der sich auf einer sechs Meter hohen Leiter befand; in der offensichtlichen Absicht, durch ein Fenster in ihr Nachbarhaus einzusteigen. Meine Bekannte rief die Polizei. Und so stürmten Sekunden später Ordnungshüter mit Taschenlampen und Pistolen durchs Quartier. Es stellte sich heraus: Der Einbrecher war der Nachbar, der seinen Schlüssel verloren hatte. Er war extra auf eine Leiter gestiegen, um seine Familie beim Nachhausekommen nicht zu wecken.

Die Bekannte war sich sicher: Der Typ musste vorher auch am Schnitzelfestival gewesen sein.

Fabian Sommer

Samstag, 15. September 2012

Burn: Eltern im Hausgang

Kinder breiten sich in meinem Bekanntenkreis aus, als wären sie ansteckend, und sie machen das Leben der Eltern reicher und komplizierter. Sie schmeissen den Kaffee um, sie wollen exakt dann essen, wenn sie eben Hunger haben, und sie schlafen genau dann, wenn es ihnen passt, selten dann, wenn es die Eltern gern hätten. Sie sind ja auch sehr doof. Ich zum Beispiel stellte mir als Kind vor, die böse Kreatur namens Marder, die ab und zu ein Kabel kaputt machte oder Eier stahl, sei ein kleiner Mann mit rechteckigem Kopf. Doof.

Kommt das Gespräch auf Kinder, versichern sich Unbekinderte, wie unkompliziert sie das handhaben wollen, wenn sie selbst mal ein Bébé haben. Kinder müssen sich den Eltern anpassen, nicht umgekehrt! Dann macht es halt mal später Mittagschlaf! Dann gibts halt mal Pommes frites statt Rüeblibrei! Ja ja. Wir haben gut reden. Vielleicht könnten wir etwas von unseren Vätern und Müttern lernen. Die waren in dieser Hinsicht ausnahmsweise ja mal cooler als wir. Heute liefe es wohl unter Vernachlässigung, wenn Eltern in den Ausgang gehen und die Kinder allein zu Hause lassen würden. So war es jeweils bei meinem Gspänli. Er suchte seine Mutter immer vergeblich im Korridor, wenn sie abends wegging. Dabei hatte sie doch gesagt, sie gehe in den Hausgang.

Sarah Pfäffli

Samstag, 8. September 2012

Bienne: Dicke Dinger

In Biel war Politik Trumpf. Überall Plakate für die städtischen Wahlen am 23. September. Überall Röseli verteilende Möchtegernparlamentarier. Überall Schöggeli verteilende Möchtegerngemeinderäte. Nirgendwo Hans Stöckli, dafür überall dieser Typ mit Bieler Wappen auf der Krawatte, der Stadtpräsident werden möchte. Und ein Wahlcouvert im Briefkasten, so dick, dass man es nicht mehr zubekommt, wenn man es einmal aufgerissen hat. Möglicherweise sei das Taktik, meinte ein alter Bekannter, den ich an einem spontan einberufenen Wahlapéro traf. Weil man die hundert Millionen Prospekte nicht mehr ins Couvert zurückstopfen und beiseitelegen kann, werde man praktisch genötigt, das Zeug anzuschauen. Danach sei auch Wählen keine grosse Sache mehr. Und, sagte der Bekannte: Wählen ist ja wichtig.

 Dem pflichtete die sich aktuell im Amt befindende Stadträtin bei, die – zufällig oder nicht – zur improvisierten Wahlveranstaltung stiess. Sie erzählte dann noch vom Tag, als sie zum ersten und einzigen Mal ihre dreijährige Tochter mit an eine Stadtratssitzung genommen hatte. Die Kleine habe sich lange umgeschaut, lange überlegt und dann enttäuscht gefragt: «Mami, wo sind jetzt all die Affen?»

 Fabian Sommer

Samstag, 1. September 2012

Burn: Szenen einer Ehe

Bern verglüht im Rückspiegel, und aus dem Radio fragt jemand: «Where is the love?», und ich denke: Das ganze Auto ist bis oben voll damit, siehst du das denn nicht? Der Mann legt eine CD ein, und ich nehme die richtige Spur. Ab und zu tauchen Erinnerungsfetzen auf. In fünf Stunden ist man am Meer, und was für ein gutes Meer das ist, seicht und warm und freundlich.

Am Abend sitzen wir vollgegessen im Restaurant, Spaghetti waren nur die Vorspeise. Da setzt sich ein Paar an den Tisch neben uns, nein: ein Päärli, es hält Händchen über den Tisch hinweg. Die beiden sprechen Züritüütsch, aber irgendwie verpassen wir fatalerweise den Moment, in dem man ohne grosse Folgen «Hallo» sagen könnte. Ein Lächeln und zwei, drei Worte würden genügen, ah ja, auch aus der Schweiz, schön hier, he. Stattdessen sitzen wir nur da und schauen uns ratlos an. Sie reden, wir sagen gar nichts, und so sind wir plötzlich zum Schweigen verdammt, denn je länger es dauert, desto peinlicher wäre es, sich jetzt doch noch zu outen.

«Il conto, per favore!», flehen wir schliesslich. Noch nie haben wir uns die Rechnung so sehr herbeigesehnt. Später lachen wir ein bisschen über unsere eigene Doofheit. Und über die Ironie der Szene: Wir müssen ausgesehen haben wie ein lange verheiratetes Paar, das sich längst nichts mehr zu sagen hat.

Sarah Pfäffli