Samstag, 29. Juni 2013

Bienne: Ego-City

In Biel war der Alltag eingekehrt. Das Eidgenössische Turnfest war zu Ende gegangen, Zehntausende Trainerjäckchenträger waren auf einen Schlag weg. 

Was bleibt, sind die Erinnerungen. Zuerst einmal jene an den schönen Wahnsinn in der Stadt, an die fantastische und immer friedliche Stimmung an der Riviera, an die vielen glücklichen Gesichter. An Turner, die morgens um 7 Uhr nach einer durchfeierten Nacht nackt im Bielersee planschten. Dann bleiben die traurigen Erinnerungen. Unglaubliche zweimal in zehn Tagen zerstörten Stürme alles, was nicht niet- und nagelfest war, es gab fast hundert Verletzte. Im Stadtpark traf ich einen alten Bekannten. Das Absurdeste an der Sache sei doch, meinte er, dass die Natur genau dann und genau über uns ihre hässlichste Fratze zeigt, wenn Biel so viele Besucher zu Gast hat wie selten in der Geschichte. Offenbar, sagte er nachdenklich, will irgendjemand Übergeordnetes sagen: Hier ist Ego-City! Die Schönheit Biels gehört nur den Bielern! 

Seit gestern übrigens ist bei uns Braderie, das grösste Sommerfest im Seeland. Von weit her reist dafür kaum jemand an. Sturm, Hagel und Gewitter sind auszuschliessen. 

Fabian Sommer

Samstag, 22. Juni 2013

Burn: Applauso!

In Bern haben es Velofahrer schwer. Hier hat es Einbahnstrassen an den unpraktischsten Orten. Busse, die so nah wie möglich auffahren und überholen. Automobilisten, die einen fast überfahren, weil sie plötzlich rechts abbiegen. Kopfsteinpflaster. Ampeln mit viel zu kurzen Grünphasen, wie jene am Bollwerk Richtung Bahnhof, wo ich schon mehrmals knapp nicht zu Tode kam. 

Ich fahre viel in Zürich Velo, aber Bern ist schlimmer. Besonders die alten Leute, die einem Schlämperlige hinterherrufen. In Zürich hat mich noch nie jemand angemotzt. In Bern sind die Hobbypolizisten nie weit. Kurz aufs Trottoir ausgewichen: schon ein Zusammenschiss. Wie geht das wohl den Velokurieren? Bei Rot über die Kreuzung fahren ist ja quasi deren Job. 

Dieses Wochenende sind Europameisterschaften. Auf dem Bundesplatz und am Gurten messen sich die Mountainbiker. Das ist ein Event, wie er sich gehört, mit einem Stadtpräsidenten, der eine glatte Rede hält, und einem deutschen Speaker, der bei italienischen Fahrern «Applauso!» kalauert. In der Lorraine halten gleichzeitig die Velokuriere ihre EM ab. Das ist ein Fest, wie es sich gehört, mit Musik und Bier. 

Die Hobbypolizisten sollten ihr dickstes Nervenkostüm anziehen. Dieses Wochenende gehört die Stadt den Velölen. Ausnahmsweise. Applauso! 

Sarah Pfäffli

Samstag, 15. Juni 2013

Bienne: Raclette mit alles

In Biel war der Supersommer voll im Gange. Definitiv nicht des Wetters wegen, wie ein alter Bekannter bemerkte. Sondern, weil seit der Expo.02 in unserer kleinen Stadt nie so viel los war.
Etwa 60 000 Turner, 120 000 Zuschauer und 8000 Helfer besuchen Bienne seit vorgestern und bis Ende nächster Woche. Wir organisieren den grössten Sportanlass des Landes, das Eidgenössische Turnfest. Und, logisch: Die anderen regulären, legendären Bieler Sausen wie Braderie oder 100-Kilometer-Lauf finden natürlich genauso statt. 

Bis jetzt, sagte der Bekannte bei einem Kaffee am See, bereite ihm der Supersommer trotz des krassen Sturms vom Donnerstag viel Freude. Es seien allerdings weniger die Sportanlässe, Konzerte oder Partys, die ihm in Erinnerung blieben, sondern mehr die diversen lustigen Leute an den diversen lustigen Ständen. Bei einem Kebabverkäufer zum Beispiel sei gestern vor ihm ein junger Mann mit Goldkette an der Reihe gewesen. Der Mann: «Ein Döner Kebab mit alles.» Der Verkäufer: «Es heisst, mit allem, junger Mann.» Der Mann: «Gib schon Kebab mit alles.» Der Verkäufer: «Ich gebe dir deinen Döner Kebab erst, wenn du es richtig sagst.» Daraufhin sei der Goldkettenträger wortlos in Richtung Raclettezelt verschwunden. 

Fabian Sommer

Samstag, 8. Juni 2013

Burn: Pech an der Kasse

Manche Menschen wählen sich mit hoher Zuverlässigkeit an der Ladenkasse immer jene Schlange aus, bei der es am längsten dauert. Ich gehöre selbstverständlich dazu und auch zu jenen Leuten, die dann gern ungeduldig an eine andere Kasse wechseln, was natürlich eine sehr blöde Idee ist, weil ausgerechnet dann die Kassiererin noch schnell die Papierrolle wechseln muss. Oder von einem Kollegen abgelöst wird. Oder dann hat der Kunde ganz vorne vergessen, die Bananen zu wiegen, und jetzt muss er in die Fruchtabteilung rennen und den Aufkleber drucken. Den klebt er aber so unglücklich auf die Bananen, dass der Strichcode nicht mehr lesbar ist und die Kassiererin deshalb die darunterstehende Zahlenreihe entziffern und eintippen muss. Die nächste Kundin telefoniert und hat deshalb Mühe, ihr Geld aus dem Portemonnaie zu klauben, sie muss erst das iPhone zwischen Schulter und Kopf einklemmen. «Nehmen Sie die Märkli?» – «Wie? Sorry, ich bin grad am Telefon.» Aber meine Lieblinge an der Kasse sind die, die kein einziges Produkt aufs Band legen können, bevor ihre Einkäufe nicht sauber von jenen ihres Vordermanns abgetrennt sind. Sie warten ganz ungeduldig, bis dieser endlich den Warentrennstab platziert. Wer weiss, was ohne den alles passieren könnte.

Sarah Pfäffli

Samstag, 1. Juni 2013

Bienne: Bizarre Angst

In Biel war die Verwirrung allmählich gross. Auf sämtlichen Kalendern, die man in die Hände bekam, stand irgendetwas von Ende Mai oder Anfang Juni. An manchen Verkaufsstellen gab es Glace, und die Sommerfeste in und um unsere wunderbare Stadt standen vor der Tür. Irgendwas aber stimmte gar nicht. Die Leute trugen Wollmützen und Daunenjacken und tranken statt Feierabendbier am See erhitzten Feierabendschnaps in winterfesten Wirtshäusern. Irgendjemand drängte Petrus auf Twitter zum Rücktritt. Irgendjemand anders verkündete auf Facebook, er werde morgen Frau Holle vermöbeln. 

Am Bahnhof traf ich einen alten Bekannten. Er stieg von seinem Roller und musste die Handschuhe ausziehen, ehe er mich begrüssen konnte. Diese Scheissdiskussionen über das Scheisswetter würden ihm viel mehr auf den Sack gehen als das Scheisswetter an sich, fluchte er dann. Er habe vor vier Wochen beschlossen, einfach alles kommentarlos zu akzeptieren, was vom Himmel her kommt

Nur frühmorgens beim Radioeinschalten ergreife ihn jeweils eine bizarre Angst, gab er zu. Er befürchte jedes Mal, dass der nächste Song «Last Christmas» sein werde.

Fabian Sommer