Samstag, 28. April 2012

Burn: Nike und Leon forever

Kürzlich erlitt ich im Yoga einen kleinen Schock: Neben mir hatte ein Modi ein riesiges, rotes Nike-Logo auf den Unterarm tätowiert. Mit «Ohm», Feueratem und Entspannung war es für mich vorbei. Caramba! Ein Swoosh! Ich hatte einen unmittelbaren Anfall von Mitleid. Das arme Ding. Und erst noch rot. Das lässt sich niemals weglasern. Mir fiel eine Frau aus Bern ein, die sich das Chanel-Logo tätowieren liess. Super vulgär. Oder der Junge mit dem pickligen Rücken, den ich am Gurtenfestival sah, mit dem grauenhaft gezeichneten Bern-Panorama auf dem Schulterblatt: Das Münster hatte einen Bogen. Meine Generation ist so tätowiert wie noch keine vor ihr. Es fing mit dem Michelle-Hunziker-Armband an, dann kam das Arschgeweih, dann folgten die Sterne, die Blumen, die Retromotive, und wem gar nichts mehr einfällt, der tätowiert sich halt den Namen seines Kindes. Mia. Leon. Lena. Noah. Wie stolz wird der Papa sein Tattoo mal herzeigen, wenn der kleine Noah dereinst mit Glatze und Bierbauch als Buchhalter bei einer Versicherung arbeitet! Rock 'n' Roll!

Wer weiss. In zwanzig Jahren, wenn Mia, Leon, Lena und Noah erwachsen sind, wird es vielleicht am coolsten sein, wer kein einziges Tattoo oder Piercingloch vorweisen kann. Und wir sehen dann alle krass alt aus.

Sarah Pfäffli

Samstag, 21. April 2012

Bienne: Ziel Biel

In Biel war 1.15 Uhr. Zwei Männer betraten die Bar, in der ein alter Bekannter mit mir über den Frühling philosophierte. Sie waren etwa 60 Jahre alt und enorm bäschelet, wie Stadtberner anscheinend sagen, wenn sie besoffen sind. Einer von ihnen war zuvor umgefallen. Er hatte eine Wunde oberhalb des linken Auges mit Taschentuch und Klebeband verarztet. Um 1.45 Uhr kratzte der Mann 8.55 Franken in kleinen Münzen aus Hosen- und Jackentaschen zusammen und bestellte Bier. Er heisse Chrigu, sein Freund Pesche, erzählte er. Aus Zäziwil. An einem Fest in Niederbipp habe er die zwei Halbeli Roten eingepackt, die in den Innentaschen seiner Jacke lagerten. Der Vorteil eines Halbeli Roten gegenüber einer Dose Bier sei ja, dass man dieses zuschrauben und auslaufsicher in der Kleidung verstauen könne. Irgendwann hätten sie gefroren in Niederbipp und seien deshalb in irgendeinen Zug gestiegen, erklärte Chrigu. Ziel war Biel. Wie sie die Nacht rumbringen würden, wüssten sie nicht. Um 2.50 Uhr legte ich die beiden in ein Taxi und schickte den Fahrer zu einer noch offenen Kneipe. Der alte Bekannte wurde nachdenklich. «Am Ende führen alle Wege nach Biel», sagte er.

Fabian Sommer

Samstag, 14. April 2012

Burn: Das alte Lied

Es kommt ja selten vor. Aber wenns regnet oder mein Velo woanders steht als ich, steige ich eben ins Tram oder den Bus. Dabei treffe ich mit unverhältnismässig hoher Wahrscheinlichkeit auf Strassenmusikanten, die gerade ein Konzert geben. Ich würde dann am liebsten wieder aussteigen, weil ich weiss: Danach fühle ich mich immer schlecht.

Oft singt da ein Typ mit Gitarre Mani-Matter-Lieder. Wasgsehniseitsvrenizumstini. Manchmal sind es ganze A-cappella-Truppen. Wobei sich Lautstärke und Selbstvertrauen häufig umgekehrt proportional verhalten zum Können. Obwohl es den Ohren nicht hilft, schaue ich weg. Die Situation fühlt sich an wie im Lift – ausweglos. Und ich hoffe jeweils, dass ich aussteigen kann, bevor jemand Geld will. Was mich dabei am meisten plagt, ist mein Bettlerdilemma. Einerseits will ich nichts geben, weil: Schliesslich hab ich nicht um ein Konzert gebeten. Und ich kann ja nicht jedem etwas geben. Ibigopfridstutzkebank, und so weiter. Andererseits: Irgendwie müsste ich doch. Und es würde mich ja nur zwei Fränkli kosten. Das ist für mich nichts, für die Musikanten aber vielleicht zwei Bier.

Also gebe ich manchmal was, manchmal nicht. Egal wie – ich fühl mich schlecht dabei. Und deshalb mag ich keine Strassenmusikanten: Jeder singt das Lied meiner Prinzipienlosigkeit.

Sarah Pfäffli

Samstag, 7. April 2012

Bienne: Netter Bettler

In Biel war die Sonne erst seit wenigen Minuten am Himmel, und schon erhellte eine Nachricht in der Zeitung mein Gemüt. Die amtliche Kriminalstatistik belegt es: Biel ist sicherer als Bern. Pro 1000 Einwohner wurden 2011 bei uns 164 Straftaten verübt. In Bern 172. Diese Fakten wären ja ein gefundenes Fressen für Biennois wie mich, ein super Steilpass für einen ausführlichen Biel-ist-viel-besser-als-sein-Ruf-Erguss. Aber das lassen wir jetzt mal bleiben.

Wahre Sieger feiern still. Just am Morgen mit der tollen Nachricht aus der Welt der Kriminalität musste ich Zug fahren. Beim Billettautomaten sprach mich ein Mann an. Er war adrett gekleidet: Anzug, Krawatte, Lederschuhe. Er fragte freundlich, ob er mich «so früh am Morgen eventuell kurz stören» dürfe. Als ich bejahte, bettelte er. «Hätten Sie allenfalls ein wenig Münz für mich?» Und: «Wissen Sie, ich bin ein wenig am Mischeln.» Als ich erwiderte, seine für einen Bettler ungewohnt nette Art entzücke mich zwar, doch hätte ich trotzdem nichts für ihn, meinte er: «Kein Problem, junger Mann. Es ist ja schliesslich Ihr Geld.» Im Zug erzählte ich die Story einem alten Bekannten. Er sage es schon lange, meinte er. In Biel gebe es nicht nur weniger Verbrecher als in Bern, sondern auch die netteren.

Fabian Sommer