Samstag, 27. April 2013

Burn: Labil statt mobil

Wer in der Stadt wohnt und arbeitet, braucht kein Auto. Das war sehr lange meine Überzeugung. Aber wie es mit vielen hehren Prinzipien geht, werden sie mit der Zeit von praktischen Gedanken überholt. Inzwischen fände ich ein Auto super. Man könnte damit Ausflüge in Landbeizen machen und Roadtrips nach Italien, Gepäck hinten rein, Glacepapierchen auf den Boden, Mitsingen zur Musik. Im Zug undenkbar. Das Auto ist das fahrende autonome Kulturzentrum für jedermann. Ein bisschen Freiheit für Bünzlis.

Wenn es nur nicht so viel Pflege bedürfte! Das Auto ist wie ein Hund. Es braucht einen Platz und will gehegt werden, ist oft gefährlich, produziert viel Dreck, kostet unendlich und hat immer irgendwas.

«Mobility ist die Lösung!», höre ich jetzt. Blublabli. Da kann man gleich den Zug nehmen, so umständlich ist es. Zu diesem Verein möchte ich nicht gehören. Im Breitenrain kommen die Leute mit dem Velo zum Mobility-Parkplatz, fahren in die Ikea, kehren zurück und laden dann die vollen Ikea-Taschen aufs Velo, statt das Zeugs zuerst heimzufahren. Alles schon beobachtet. Zudem wird man im Mobility-Auto ständig als schlechter Fahrer beschimpft. Nein. Ich will kein Mitglied bei Mobility sein.

Ich bin eher der Typ Lability. Eigentlich will ich auch gar kein Auto, sondern Freunde mit Auto.

Sarah Pfäffli

Samstag, 20. April 2013

Bienne: Die Poetin

In Biel war Aufbruchstimmung. Und die war nicht wie üblicherweise bei uns nur spür-, sondern des ersten richtigen Frühlingstages wegen für einmal auch für alle sichtbar: Etwa drei Viertel der derzeit in der Stadt gemeldeten 37 758 Schweizer und 16 027 Ausländer bildeten eine sonntägliche Karawane Richtung Seeufer. Etwa 222 Tage lang hatte in Biel die Sonne nie mehr länger als 22 Minuten am Stück geschienen, es war zum Durchdrehen, Delirieren, Davonlaufen. Die Erlösung hätte keinen Tag später kommen dürfen, bemerkte eine alte Bekannte treffend, die auf Rollschuhen und mit Stängelglace und Kinderwagen Richtung See unterwegs war. Gemeinsam schauten wir dem Menschenzug einen Moment lang schweigend zu. Vor unserem inneren Auge sahen wir Bilder von Menschen, die vor Freude Transparente hochhalten, Lieder singen, Parolen skandieren, eine echt geile Demo veranstalten. Für die Sonne, für den Frühling, für das Leben bei Aussentemperaturen über 18 Grad. Dann riss uns eine junge Poetin mit ihrer jungen bieldeutschen Frühlingspoesie aus den Gedanken. Die 8-jährige Tochter der alten Bekannten rannte auf uns zu, streckte uns den Po entgegen und furzte mehrmals laut in unsere Richtung. Dann lachte sie und rief stolz: «Vier Fürz nachenang – usem Buuch der Rekorde!»

Fabian Sommer

Samstag, 13. April 2013

Burn: Nervige Schachtel

Jetzt, wo man wieder länger als fünf Minuten draussen sein kann, ohne an Erfrierungen zu sterben, beginnt in Bern die Outdoor-Schachsaison. Vor allem auf dem Bärenplatz, den die Kenner «Centre Court» nennen. Und auf der Bundesterrasse; da üben die Schachspieler glaubs, bevor sie sich auf den Bärenplatz wagen.

Ich kann Schach spielen, also ich könnte: Ich kenne die Regeln. Aber da ich nicht verlieren kann, ist dieses Spiel, pardon, dieser Sport für mich vielmehr Qual als Vergnügen und für meinen Gegner auch. Wenn Brettspiel, dann eher noch der peinvolle, aber schnelle Untergang bei einem Mühlespiel, die Unausweichlichkeit von Figge-Mühle, als das zähe Sterben einer Figur nach der anderen, das schmerzvolle Niederringen in Zeitlupe beim Schach.

Trotzdem hege ich eine Schachfantasie, und zwar die, auf dem Bärenplatz einer Schachpartie als nervender Klugscheisser zuzuschauen. Bei jedem Zug würde ich leise Kommentare abgeben. Mal den Kopf schütteln, mal die Augen rollen, mal die Luft durch die Zähne saugen und mit einem scharfen Ssss-Laut jede Aktion als hochriskant oder blöd taxieren. Ich stelle mir das lustig vor. Man könnte daraus einen TV-Sketch machen. Oder ich könnte es einfach als Privatvergnügen geniessen. Weil verlieren kann ich zwar nicht, aber im Drischnure bin ich im Fall super.

Sarah Pfäffli

Samstag, 6. April 2013

Bienne: Mittag in Biel

In Biel war Donnerstag, kurz nach 12 Uhr und damit Zeit für einen fixen Termin im grauen Alltag: Mittagessen mit dem immer gleichen alten Bekannten in der immer gleichen alten Knelle. Den Pferdefleischskandal schien hier kein Schwein mehr zu interessieren. Menü 1 war Pferdeentrecote, Menü 2 Lasagne, Menü 3 Vegihamburger. Ganz schön viele Fohlenhydrate, dachte ich.

Das Schöne am Donnerstagmittag ist ja, dass das Gröbste der Woche für die meisten vorbei ist und das Ende alles Bösen in just diesem Moment merkwürdig fassbar wird. Ich behaupte, dass die Mehrheit der Leute punkt Donnerstagmittag die Schwelle zum allwöchentlichen Gutdraufsein überquert.

Der alte Bekannte gehört auf jeden Fall dazu. Seine Schwester habe kürzlich einen 2-Fränkler verschluckt, sagte er mit einem Stück rosa gebratenem Rössli im Mund. Später seien vier 50-Räppler rausgekommen. Die Frau sei halt in den Wechseljahren.

Nach dem Essen musste ich noch Rindshackfleisch besorgen. Einfach, weil Donnerstagmittag war, fragte ich den Metzger, ob derzeit viel Pferdefleisch darin sei. Heute nicht, erwiderte der Mann im weissen Kittel. Ihm sei es gestern einfach zu mühsam gewesen, den verdammten Sattel durch den Fleischwolf zu bekommen.

Fabian Sommer